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#WissensWerte: "Dieser besondere Spirit" – über Vertrauen und Verbundenheit in der Stiftungsgemeinschaft

Christine Lauck

Der folgende Essay ist auch im Buch „Geschichten vom Mehr“ erschienen, das anlässlich des 40-jährigen Jubiläums 2022 von der Claussen-Simon-Stiftung herausgegeben wurde.

Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich zum ersten Mal persönlich auf Stipendiat:innen der Stiftung traf. Nach einem digitalen Arbeitsstart im Frühjahr 2020 schien die soziale Leichtigkeit verflogen, und ich war aufgeregt, als ich zu einem Regionalgruppentreffen im Künstlerhaus Sootbörn ging. Auf dem Weg dorthin fragte ich mich, wie ich die Gruppe der Stipendiat:innen finden sollte, hatte ich doch, wenn überhaupt, nur winzige Bildchen in unserer Datenbank gesehen. Als ich ankam, hatte sich ein großer Kreis gebildet, und eine Person rief: „Schaut mal, das ist bestimmt die Christine aus den E-Mails.“ Ich lachte und fühlte mich sofort willkommen. Dass es so herrlich unkompliziert war, empfand ich als großes Geschenk. Wir saßen bis tief in die Nacht auf den Treppenstufen vor der Ausstellung, schauten uns etappenweise die Exponate an und unterhielten uns. Das Glück über das wiedergewonnene Kulturerlebnis und die neu gefundenen Gesprächspartner:innen war riesengroß.

Was mich von diesem Zeitpunkt an immer wieder tief beeindruckt hat, ist die Begeisterungsfähigkeit der Geförderten: Ein Zoomgespräch mit Literaturwissenschaftler Felix wurde zur persönlichen Erzählstunde, als er voller Bewunderung für einen Autor fantastische Kurzgeschichten nacherzählte. Ich schaute in leuchtende Augen und ließ mich ein auf diese neuen Welten, die unverhofft an einem Freitagmorgen vor mir ausgerollt wurden. Svenja, die aus einem Tiny House von ihrer Forschung mit Insekten und Pflanzensamen erzählt, die in der Textilindustrie Verwendung finden könnten. Santiago, der jedem die Funktionsweise eines Flugzeugs erklären kann. Kunsthistorikerin Inga, die durch das bloße Erzählen Bilder vor dem geistigen Auge erstehen und tanzen lassen kann. Solche Gespräche fühlen sich an, als dürfte man ein Stück von dieser Begeisterung abhaben, um sich selbst mit neuem Entdecker:innengeist anzustecken.

Jeder Kollege, jede Kollegin hat ein eigenes Sammelsurium an schönsten Stiftungserlebnissen, aber gerade, wenn es um das Stipendiat:innentreffen geht, gibt es zweifelsfrei eine Art kollektives Gedächtnis. Susanne* war 2017 frisch in das Stiftungsteam eingestiegen und fand sich keine zwei Wochen später am Ratzeburger See mit rund hundert aktiven und ehemaligen Stipendiat:innen wieder. Spürbar war „dieser besondere Spirit zwischen den Geförderten“, und wenn sie versucht, „diese angenehme Chemie“ zu beschreiben, dann spricht sie von „guter Laune, einer großen Offenheit und der Lust, sich auszutauschen“ sowie von „Begeisterung für das eigene Tun und das des Gegenübers“. Welch perfekter Ort für diese Begegnung: die gute Luft, der wunderschöne See, viel Platz und Muße für Gespräche und Workshops von Geförderten für Geförderte. Susanne nahm an einem Sound- und Hörworkshop bei stART.up-Stipendiatin und Musiktheaterregisseurin Theresa teil, bei dem sie die Wahrnehmung der akustischen Umgebung zu schärfen versuchten. So saß Susanne mit geschlossenen Augen am Steg, Schulter an Schulter mit vielen bisher unbekannten Menschen, und hörte dem Rauschen und Plätschern des Ratzeburger Sees zu. Gemeinsam zu hören und dabei vertrauensvoll die eigenen Wahrnehmungen übereinanderzulegen, erzeugte bei Susanne „ein Gefühl von Verbundenheit“.

Zugewandte, ausgelassene und im wahrsten Sinne schillernde Tage finden dort alljährlich statt: Regelmäßig erinnert sich das Team an Maria* und Tim* im Glitzeroutfit, die als charmante Showmaster durch das Kneipenquiz führten. Oder an den schwimmenden goldenen Schatz auf dem Ratzeburger See, der unter lautem Anfeuern mit einem SUP-Board geborgen werden konnte. Oder an die Freude darüber, dass jemand im Rahmen der Open Stage etwas Großartiges auf die Bühne bringt. 2019 haben die Sprach- bzw. Literaturwissenschaftler Giulio und Freddy ihre Ergebnisse des autobiografischen Schreibworkshops vorgetragen, den sie am selben Tag besucht hatten. Lukas* war berührt, „wie persönlich“ diese spontanen Werke waren und „von welch fantastischer Qualität“. Maria ist bis heute beeindruckt von einer nächtlichen Choreografie der Geförderten zu kitschiger Boygroup-Musik – „ein größeres Highlight kann ein Abend nicht bieten“. Auch eine Stepptanzeinlage taucht immer wieder in Erzählungen auf, die von Stipendiatin Alicia angeleitet wurde. Über die klackernden Tanzversuche legten sich minutenlange Lachanfälle, die auch heute sofort wieder reaktiviert werden können, sobald jemand das Ereignis anspricht. Es sei „unglaublich befreiend“ gewesen, „eigentlich das schönste Beispiel, wie viel Spaß es macht, über sich selbst zu lachen“, sagt Lukas.

Über das Jahr verteilt finden neben dem Stipendiat:innentreffen viele programmübergreifende Workshops oder Veranstaltungen statt, die in die Curricula der Förderprogramme integriert sind. Im Horizonte-Programm entwickelte es sich zu einem festen Ritual, dass die Stipendiat:innen in den Seminarpausen Karten spielten. Diese regelmäßigen persönlichen Treffen wurden auch in den virtuellen Raum transportiert, genauso wie sich ein fester Kreis von Stipendiat:innen verschiedenster Stipendienprogramme zu einer digitalen Late Night Talk-Reihe zusammenschloss. Die Geschichten vieler, vieler Freundschaften, die sich quer über die Förderbereiche entwickeln, freuen uns sehr. Wenn wir einmal nachfragen, warum sich diese Freundschaften ergeben, hören wir, dass sie „alle irgendwie ein ähnliches Mindset“ haben und „gemeinsame Werte teilen“ – wie Ehrlichkeit, Aufgeschlossenheit und Toleranz. Susanne beobachtet, dass die Stipendiat:innen „die Lust vereint, etwas zu leisten und der Gesellschaft etwas zurückzugeben; sie verfolgen verschiedenste Interessen und genießen meist den Austausch mit anderen Menschen“. Damit einher gehen oft auch ähnliche Herausforderungen, zum Beispiel wie man jene vielen Interessen unter einen Hut bekommt oder wie man mit hohen Anforderungen an sich selbst umgeht. Da treffen „Analytiker:innen auf idealistische Träumer:innen“, sagt Lukas, „und verschiedenste Altersstufen, Lebensweisen oder Denkschulen berühren sich“. Seiner Meinung nach ist die Gruppe „homogen genug“, damit ein tiefes Verständnis entstehen kann, und „heterogen genug“, damit es spannend bleibt. Welche freundschaftlichen Bande dann tatsächlich geschlagen werden und warum sie sich festigen, liegt wunderbarerweise im Bereich des Unerklärlichen.

Ich bin begeistert, mit welch hoher Konzentration und aktiver Beteiligung die Geförderten unsere programmübergreifenden Workshops besuchen: mit einer großen Lust an der inhaltlichen Auseinandersetzung und einer immensen Bereitschaft zur Reflexion der eigenen Erfahrungen. Bei einem Workshop, in dem ich selbst anwesend war, kamen wir eher zufällig auf das Thema der Klimakrise zu sprechen. Innerhalb kürzester Zeit versammelten sich die unterschiedlichsten Perspektiven der Teilnehmenden auf das Thema: unter anderem das der Tropenmedizinerin, des Psychologen, der Agrarwissenschaftlerin, der Biologin, der Expertin für marine Ökosysteme sowie des Betriebswirtschaftlers. Obwohl das inhaltliche Anliegen des Workshops ein anderes war, entfaltete sich spontan eine gefühlte 360-Grad-Sicht auf ein hochkomplexes Thema. Mit vielen Denkanstößen ausgestattet, hätten wir eine zweitägige Konferenz zum Thema anschließen können. Dieser Reichtum an Fach- und Interessensgebieten sowie der Spaß aller Beteiligten, sich auf neue Welten einzulassen, machen die Organisation von Workshops und Seminaren für mich so schön. Es ist fast gesetzt, dass es im Anschluss an eine Veranstaltung zu einer inspirierenden und respektvollen Diskussion unter den Teilnehmenden kommt. Ich denke, das hat immer auch mit Demut und mit Selbstbewusstsein zu tun: in einem geschützten Raum zuzugeben, etwas nicht zu wissen, um dann bereitwillig zuzuhören und etwas Neues zu lernen. Dass es diesen geschützten Raum bei der Stiftung gibt, ist wie eine stillschweigende Vereinbarung spürbar. Wenn sich die Gesprächspartner:innen auf Augenhöhe positionieren, haben beide Parteien so viel Luft – und dürfen sich irren, nachfragen, kritisch sein, Erfolge oder Niederlagen teilen oder die Rolle des Erklärenden einnehmen.

2020 hatten wir die Regisseurin und Schauspielerin Maryam Zaree zu einem digitalen Künstlerinnengespräch geladen. In ihrem Regiedebüt „Born in Evin“ verhandelt Zaree ihre eigene Geburt im iranischen Gefängnis in Evin, in dem ihre Eltern als politische Gefangene nach der Revolution 1979 festgehalten wurden. Die Konfrontation mit ihrer Geschichte und der Sprachlosigkeit ihrer Familie teilte sie im Gespräch mit uns. Die Stimmung, die aus den klugen und mitfühlenden Fragen der Geförderten erwuchs, war intim und geerdet. Es wurde gemeinsam geschwiegen und gemeinsam gelacht. Dass sich in der Gruppe ein Gespür für die Nuancen und Zwischentöne entwickelt, schafft Vertrauen im Vorfeld einer Veranstaltung, bei der man als Verantwortliche:r ganz naturgemäß unter Strom steht. Maria berichtet von diesem Gefühl nach jeder akribischen und energiereichen Vorbereitung des Stipendiat:innentreffens: „Wenn ich dann in Ratzeburg über den Flur laufe und aus jedem Workshopraum konzentrierte Stille, angeregte Diskussionen oder Lachen höre, weiß ich, dass alles in den richtigen Bahnen verläuft.“ Maria erinnert sich besonders an eine Keynote des Zukunftsforschers Harald Welzer, der sie ihre volle Aufmerksamkeit schenken konnte. Weil sie einfach wisse, „dass jede Person, die moderiert – sei es ein:e Kolleg:in oder ein:e Stipendiat:in –, die beste Person ist, die diesen Moment gerade gestalten kann“.

Auch im Gespräch mit Lukas kreisen seine Gedanken immer wieder um das Schlagwort „Vertrauen“. Es fühle sich „besonders und schützenswert“ an, wenn ihm Vertrauen geschenkt wird. Damit einher geht die Verantwortung, dieses „nicht zu enttäuschen“. Er erzählt, dass er auf das neun Monate alte Baby unserer Postdoc Plus-Stipendiatin Nataliya aufgepasst hat, als sie einen Workshop für die Stiftung gehalten hat. „Größer könnte ein Vertrauensbeweis nicht sein“, und da hat Lukas wohl recht. Auch in seiner alltäglichen Arbeit ist das berufliche oder akademische Wirken nie vom persönlichen Leben der Geförderten zu trennen. Eine Stipendiatin rief Lukas kurz nach Erhalt ihres positiven Schwangerschaftstests an und fragte ihn, wie sie ins Gespräch mit ihrem Doktorvater gehen sollte und welche möglichen Konsequenzen dies für ihre akademische Laufbahn haben könne. In solch entscheidenden Momenten um Rat gefragt zu werden, sei eine berührende Bestätigung der eigenen Arbeit. Wobei er natürlich keine Ratschläge erteilen könne. Die wirklichen Entscheidungen – seien sie nun fachlicher oder persönlicher Natur oder auch beides – „reifen im Dialog und im gemeinsamen Abwägen“. Mit einem Stipendiaten kam er immer wieder auf die Themen „Religion“ und „Prägung durch das Elternhaus“ zu sprechen. Aus dem Ansatz, mögliche Antworten in der Literatur zu finden, ist mittlerweile fast ein kleiner Buchclub erwachsen, und die beiden spielen sich gegenseitig aktuelle Leseempfehlungen zu.

Was vereint nun all diese schönen Beobachtungen? Mit unseren ideellen Förderangeboten schaffen wir die Rahmenbedingungen, die solche nachwirkenden und inspirierenden Begegnungen ermöglichen. Planbar sind die entscheidenden Momente nicht: eine Stiftungsbekanntschaft, die zu einer Freundschaft wird. Ein kurzes Gespräch am Rande eines programmübergreifenden Workshops, das zu einer Neuausrichtung des eigenen Tuns führt. Ein Vortrag, der dazu inspiriert, endlich einen lang gehegten Plan in die Tat umzusetzen. Während einige Zusammenhänge für uns rekonstruierbar sind, bleiben andere unsichtbar. „Was das signifikante, ausschlaggebende Element ist – und ob es ein solches überhaupt gibt –, wissen wir oft gar nicht“, meint Susanne. Dass es der geschützte Raum der Stiftungsgemeinschaft ist, der solche Momente der Verbundenheit erschafft und befördert, ist eine wohltuende Sicherheit. An einem freien Tag saß Susanne mit einer Limonade am Altonaer Balkon, als sie von einem ehemaligen Stipendiaten angesprochen wurde. Ob sie sich an ihn erinnere, er sei vor drei Jahren mit dem Zugvogel-Programm für seinen allerersten Auslandsaufenthalt vier Wochen lang in Großbritannien gewesen. Dass er trotz der recht kurzen Zeit noch immer im wertvollen und regelmäßigen Kontakt mit seiner Gastfamilie und seinen Freunden dort stehe, habe ihn ermutigt, nun ein Studium im Ausland zu planen. „Manchmal erfährt man per Zufall, in welche Richtung es die Stipendiat:innen nach unserer Förderung trägt“, sagt Susanne, „und solche Momente sind dann das größte Glück!“ 

* Die hier im Text genannten Kolleg:innen sind: Susanne Lea Radt (Programmleitung Horizonte und Zugvogel), Dr. Lukas Hoffmann (Bereichsleitung Wissenschaft & Hochschule), Maria Eplinius (Bereichsleitung Dialog & Perspektive) und Tim Hoff (Programmleitung B-First, Master Plus, Claussen-Simon-Fonds für Wissenschaft & Hochschule).


Christine Lauck absolvierte den B.A. Kultur und Wirtschaft an den Universitäten in Mannheim, Buenos Aires und Mexiko-Stadt. Dabei legte sie den Studienfokus auf visuelle Kommunikation, kognitive Linguistik sowie Sprachkontaktforschung. An der Hochschule für Musik und Theater München schloss sie den M.A. Kultur- und Musikmanagement ab und arbeitete parallel in der Öffentlichkeitsarbeit verschiedener Kulturinstitutionen. Im Anschluss arbeitete sie in der Planung und Durchführung klassischer Konzerte und Tourneen aus Veranstalter-, Agentur- und Orchesterperspektive und war für die mehrsprachige Kommunikation zuständig. Zudem war sie als Pressesprecherin eines panamerikanischen Sinfonieorchesters tätig. In der Claussen-Simon-Stiftung war Christine Lauck im Bereich Dialog & Perspektive für die bereichsübergreifende Veranstaltungsorganisation sowie Dialog- und Netzwerkarbeit zuständig.

 

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