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Dann biete ich eben Stadtführungen auf Deutsch an – oder: Mein erstes Entwicklungsziel im Stipendienprogramm Horizonte
Adrià Millàs Luque, Lehramtsstudent im Master, Horizonte-Alumnus und Master Plus-Stipendiat
Zu Beginn der Horizonte-Förderung, die sich an Lehramtsstudent:innen mit Migrationsgeschichte an der Universität Hamburg richtet und von der Claussen-Simon-Stiftung, der Jürgen Sengpiel Stiftung und der Dürr-Stiftung vergeben wird, legen die Stipendiat:innen zwei Entwicklungsziele fest, die sie individuell verfolgen möchten. Durch Fortbildungen können sie ihre persönlichen und pädagogischen Qualifikationen in Hinblick auf die eigenen Ziele im zukünftigen Lehrberuf weiterentwickeln. Sie tauschen sich über Erfolge und Herausforderungen aus und erlernen Strategien, um sich gegenseitig bei den weiteren Schritten zu unterstützen.
Eines der besten Dinge, die man tun kann, um dem alltäglichen Leben neuen Schwung zu geben und sich herauszufordern, ist es, sich ein mittelfristiges Ziel zu setzen. Das habe ich zu Beginn meines Horizonte-Stipendiums im Herbst 2018 getan. Dabei hatte ich die unschätzbare Unterstützung von Dr. Marcus Hildebrandt, interdisziplinär arbeitender Coach und Seminardozent zum Thema individuelle Entwicklungsziele. Nach einer einwöchigen Selbstreflexion über die wichtigsten Eckpunkte meines Lebens saß ich mit Marcus an einem Tisch. Nach Jahren harter Arbeit nach meiner Einwanderung nach Deutschland hatte ich die Gelegenheit, zurückzublicken und zu sehen, wie viel ich bereits erreicht hatte. Ich erzählte Marcus, dass ich in meinem Alltag etwas vermisste, was ich ändern wollte: mehr Deutsch zu sprechen. Ich studiere Lehramt mit den Fächern Spanisch und Englisch und hatte bislang auch ausschließlich in diesen beiden Sprachen gearbeitet. Hinzu kommt, dass meine Frau Amerikanerin ist und wir Englisch miteinander sprechen. Also sagte ich zu Marcus: „Ich möchte mir einen Deutschkurs als Ziel setzen.“ Er antwortete mir: „Ich habe eine andere Idee. Wie wäre es, wenn du deinen aktuellen Nebenjob als Stadtführer auf Deutsch machen würdest?“ Um ehrlich zu sein, war ich ein wenig schockiert. Diese Idee war mir schon früher in den Sinn gekommen, aber nicht als Entwicklungsziel im Rahmen des Horizonte-Programms, sondern eher als Ziel für einen späteren Lebensabschnitt. Als ich 2014 als Stadtführer angefangen hatte, hatte ich mir selbst gesagt: Eines Tages wird mein Deutsch so gut sein, dass ich diese Führung auf Deutsch machen kann. Allerdings vergaß ich dieses Ziel ein wenig, weil mich mein Studium so sehr in eine andere Richtung bewegte.
Die große Herausforderung für mich, nachdem ich mir mein Ziel gesetzt und eine Zielvereinbarung mit der Stiftung getroffen hatte, war: Wie sollte ich jemanden finden, der:die mich im Rahmen des gestellten Budgets und meiner sehr begrenzten zeitlichen Verfügbarkeit zum deutschsprachigen Stadtführer ausbildet? Marcus hatte wieder einmal direkt einen Lösungsansatz parat: „Bitte einfach jemanden aus deinem Team um Hilfe!“. Ein Anruf bei einem Arbeitskollegen genügte, und er sagte: „Natürlich helfe ich dir!“
August 2019: Ein halbes Jahr war vergangen, mein viertes Semester, meine Universitätsprojekte und Klausuren lagen hinter mir, und es war endlich Sommer. Ich stand morgens um 8:30 Uhr mitten auf dem Hamburger Rathausmarkt, einen Kaffee in der Hand, meinen Rucksack gefüllt mit Wasser, Obst, Snacks und Sonnencreme auf dem Rücken, ein Notizbuch und einen Stift in der Hand. Ich war nervös und aufgeregt. Es ist eine Sache, in alltäglichen Situationen Deutsch zu sprechen, und eine ganz andere, neunzig Minuten am Stück in der eigenen vierten Sprache über Architektur, Kultur und Essen zu sprechen.
Um dieses überwältigende Gefühl zu überwinden, dachte ich still für mich: Wenn du in der Lage bist, vor einem kleinen Publikum eine gute Führung auf Deutsch zu geben, dann hast du das Zeug dazu, eines Tages eine Klasse von 30 deutschsprachigen Jugendlichen zu unterrichten! Mein Kollege Martin und ich hatten uns mehrere Male getroffen, um für meine Stadtführung zu üben – ich hatte aufgehört, unsere Treffen zu zählen. Wir machten uns Notizen, er korrigierte mich, ich wiederholte den gleichen Teil der Tour mindestens dreimal bei jedem „Training“. Wenn ich Feierabend hatte, kam ich nach Hause und schrieb mein eigenes Tour-Skript auf Deutsch, wobei ich versuchte, immer noch natürlich und spontan zu klingen und nicht zu viel auswendig zu lernen. Ich fühlte mich wie ein Schauspieler. Aber wie würden die ersten Besucher:innen auf meine Führung reagieren?
Wenn du ein:e Perfektionist:in bist, wirst du dich in solchen Momenten nie bereit genug fühlen, den Anfang zu wagen. Wie das Leben so spielt, kam der Tag, an dem ich eigentlich eine Tour auf Spanisch – meiner Muttersprache – machen sollte. Das Problem war, dass der deutsche Stadtführer verhindert war. Der Manager des Stadtführungsunternehmens fragte mich also, ob ich die Führung auf Deutsch übernehmen könnte. Natürlich wussten die Besucher:innen der Tour, dass ich ihnen mit meiner spontanen Vertretung einen Gefallen tat. Sie waren sehr verständnisvoll und sahen, dass ich mein Bestes gab. Nach dem schwierigsten Teil der Tour – das war der Teil, wo ich eine Zusammenfassung der 1200-jährigen Geschichte Hamburgs lieferte, auf die Fassade des Rathauses einging und mit Worten wie Reichsgründung, Giebel oder Holzpalisaden jonglierte – hatte ich das Gefühl, dass ich es gut gemacht hatte. Einige Besucher:innen waren so empathisch und hilfsbereit, dass sie sich sogar an die Spitze der Gruppe begaben, um mit mir zu gehen und mir Mut zuzusprechen. Das war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Die Gruppe spendete mir am Ende einen wirklich schönen, wertschätzenden Applaus. Als alle gegangen waren, hatte ich diesen besonderen Moment der Erkenntnis: Ich hatte mein Ziel erreicht! Jetzt musste ich es wieder und wieder tun!
Leider gab es einen Dämpfer – nicht nur für mich, sondern auch für viele andere: COVID-19 traf die Tourismusbranche, nachdem ich im August 2020 begonnen hatte, meine Tour offiziell auf Deutsch anzubieten, hart. Ich nutzte diesen Zeitpunkt und die Umstände, um meinen Nebenjob zu wechseln und endlich an Hamburger Schulen zu unterrichten und mich dort zu engagieren. Doch die gut 20 Stadtführungen, die ich in den zwei Monaten zuvor auf Deutsch angeboten hatte, kann mir niemand mehr nehmen. Manche Touren liefen besser als andere, aber fast jede fühlte sich für mich – und hoffentlich auch für die Teilnehmenden – gelungen an. Mein neues Selbstvertrauen in die deutsche Sprache nahm ich mit in meine neuen Tätigkeiten an zwei Hamburger Stadtteilschulen, in die Arbeit mit Jugendlichen: Mit der Organisation SchlauFox, die insbesondere sozioökonomisch benachteiligte Kinder und Jugendliche auf den verschiedenen Ebenen ihres schulischen und außerschulischen Bildungsweges begleitet, arbeitete ich bis Dezember 2021 an der Stadtteilschule am Hafen, wo ich als Coach Jugendliche bei der Vorbereitung auf den Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA) unterstützte. An der Stadtteilschule Alter Teichweg bin ich bis heute als Mentor für drei Jungen in der internationalen Vorbereitungsklasse tätig.
Über ein Ziel nachzudenken, einen Plan zu erstellen und diesen systematisch zu verfolgen, mögliche Probleme auf dem Weg zu diesem Ziel zu lösen, zu lernen, wie man in bestimmten Kontexten über den eigenen Tellerrand hinausschaut war zweifellos eine der prägendsten Erfahrungen während meiner zweijährigen Teilnahme am Stipendienprogramm Horizonte. Auf die Fähigkeiten, die ich mir dabei angeeignet habe, werde ich immer zurückgreifen können. Ich bin sehr dankbar für die großartige Arbeit und Unterstützung von Dr. Marcus Hildebrandt, meinem Arbeitskollegen Martin, von meiner Horizonte-Tutorin Liesa Rühlmann und den Stiftungsmitarbeiterinnen Susanne Radt und Christine Geupel. Zu wissen, dass man eine Gruppe von Menschen hat, die sich für einen persönlich einsetzen, ist der größter Gewinn!
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