#Auslandsaufenthalt #Bildung #Community
“Nothing in life is to be feared, only to be understood.”
Lina Yousufzai, Horizonte-Stipendiatin
Es war schon immer einer meiner größten Träume, eine Auslandserfahrung zu machen, die über einen normalen Urlaub hinausgeht. Im Rahmen meines Entwicklungsziels des Horizonte-Stipendiums machte ich mich auf den Weg nach Irland. Um genauer zu sein: nach Kilkenny. Dort wollte ich sowohl meine interkulturellen als auch meine sprachlichen Kompetenzen weiter ausbauen. Englisch ist eines meiner Studienfächer und ein zukünftiges Unterrichtsfach. Daher möchte ich mich sprachlich so weiterentwickeln, dass ich auf einem Niveau bin, von dem meine Schüler:innen viel mitnehmen können. Ich wollte nicht nur die schönen Seiten einer Stadt oder eines Landes sehen, sondern auch mit all dem konfrontiert werden, was die Menschen und die Gesellschaft tagtäglich beschäftigt. Ich glaube, dass man nur dann in den Alltag anderer Menschen eintauchen kann, wenn man ihn aus nächster Nähe miterlebt. Das gilt auch für das Erlernen einer anderen Sprache. Auf der anderen Seite war es für mich aber auch ein schwieriger Schritt, für eine längere Zeit, alleine, in ein anderes Land zu reisen. Diese Tatsache hat mich in der ersten Zeit vor ein paar innere Konflikte gestellt. Aber wie Marie Curie bereits sagte: “Nothing in life is to be feared, only to be understood. Now is the time to understand more, so that we may fear less.” Um mehr zu verstehen, bin ich über meinen Schatten gesprungen. Ich habe über all die Erfahrungen nachgedacht, die ich aus meinem Aufenthalt für die Zukunft mitnehmen kann.
Ende Juli 2024 war es dann also so weit. Ich bin bei einer Gastfamilie untergekommen und habe die Möglichkeit bekommen, ein Praktikum in einem der 121 Family Resource Centres in Irland zu machen. Die FRCs sind Teil eines nationalen Programms, das die Städte und Gemeinden unterstützt. Sie werden hauptsächlich von Tusla, einer Child and Family Agency, finanziert. Mein FRC beinhaltete eine Kindertagesstätte, eine offene und kostengünstige psychologische Beratung, Community Groups und vieles mehr. Das Angebot variiert von Zentrum zu Zentrum. Ich hatte die Möglichkeit, in allen Bereichen des Centres mit anzupacken und habe auf diese Weise auch sehr viel über die Community gelernt. Das Viertel, in dem sich das Zentrum befindet, nennt sich Newpark. Die Gemeinschaft in diesem Stadtteil hat mit vielen Vorurteilen und Diskriminierungen zu kämpfen, da die meisten Familien aus sozial benachteiligten Verhältnissen stammen. Kolleg:innen erzählten mir von Fällen, in denen Mitgliedern der Community eine Arbeit nur aufgrund ihrer Adresse verweigert wurde. Die Mitarbeiter:innen des FRC sind da, um der Community zur Seite zu stehen und zu beraten, besonders in solchen Fällen.
Ich war sehr dankbar, weil ich die Möglichkeit hatte, in vielen verschiedenen Bereichen zu arbeiten. Es warteten viele lehrreiche Aufgaben auf mich, von der Kinderbetreuung bis zur Erstellung der Website. Ich habe auch sehr viel über psychologische Phänomene und über psychologische Beeinflussung gelernt. Dinge, die man bei anderen Menschen nicht sehen kann, aber für die man sich selbst sensibilisieren kann. Besonders geprägt hat mich aber die Arbeit mit den Community Groups.
Eine Gruppe ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Diese bestand aus älteren Damen, die bereits in Rente waren und sich jeden Dienstag für zwei Stunden getroffen haben, um zu plaudern, Tee zu trinken und zu gärtnern. Als gelernte Floristin bekam ich die Möglichkeit, einen Floristikworkshop zu geben. Natürlich war ich total aufgeregt. Obwohl ich mich im Umgang mit der englischen Sprache sicher fühle, ist es doch etwas anderes, vor Menschen zu sprechen, die Englisch als Muttersprache gelernt haben. Nach gründlicher Vorbereitung erstellte ich eine PowerPoint-Präsentation zur Geschichte der Floristik. Wie ist dieses Fach eigentlich entstanden? Wie sind wir zu der Floristik gekommen, die wir heute haben? Nach dem Theorieinput wurde gemeinsam ein Tischgesteck aus Lilien, Chrysanthemen, Schleierkraut und vielen anderen floristischen Materialien hergestellt. Die Stimmung war die ganze Zeit über sehr gut und ich konnte aus den Geschichten und Erfahrungen der Damen sehr viel mitnehmen und lernen. In der folgenden Woche machten wir eine Exkursion in ein Arboretum in Carlow. Altamont Garden ist ein botanischer Garten, der sich auf einem 100 Hektar großen Gelände befindet. Zu meiner großen Überraschung durfte ich die Gruppe ganz alleine begleiten, sozusagen als „Tour Guide". Es gab bisher auf meinen Reisen noch nie einen Moment, in dem ich mich einer Gruppe von Einheimischen so nahe gefühlt habe und so sehr dazugehörte. Es spielte überhaupt keine Rolle, woher ich komme oder was ich mache. Es spielte nur eine Rolle, wer ich bin und was mich ausmacht. Dies war keine Seltenheit. Man hat definitiv gemerkt, dass die allgemeine Stimmung und die Mentalität vor Ort eine ganz andere war als bei uns zu Hause. Es ist normal, andere zum 'afternoon-tea' in die eigenen vier Wände einzuladen. Auch wenn man sich gerade erst kennengelernt hat. Gastfreundschaft war das A und O und das habe ich oft am eigenen Leib erfahren. Smalltalk im Supermarkt mit wildfremden Menschen wurde als normal und höflich angesehen. Es gab nicht einen Moment, in dem ich mich unerwünscht oder unwohl gefühlt habe.
Mehr als nur ans Herz gewachsen sind mir in dieser Zeit auch meine Kolleg:innen. Egal, ob es interne Probleme zu lösen oder Erfolge zu feiern gab, man ist immer respektvoll miteinander umgegangen. Auch wenn ich nur einem Kollegen gesagt habe, dass ich am nächsten Tag Geburtstag habe, stand am nächsten Tag ein Kuchen mit einer Karte auf meinem Schreibtisch. Auch meine Gastmutter war eine ganz tolle, inspirierende Frau und sehr nett. Jeden Sonntag haben wir Ausflüge in die Umgebung gemacht, sodass ich viel vom Osten Irlands gesehen und gelernt habe. Mein Wunsch für die Zukunft ist es, noch den Westen kennenzulernen, denn dort soll es nach Aussage der Einheimischen architektonisch ganz anders sein. Ich habe auch jetzt noch sehr viel Kontakt zu all den Menschen, die ich in Irland kennengelernt habe, und ich fühle mich mit der Kultur so verbunden, als ob es mein zweites Zuhause wäre.
Am Ende stellt sich die Frage: Kann ich einen Aufenthalt im Ausland weiterempfehlen? Absolut! Man nimmt unglaublich viel mit, wächst über sich hinaus und man erkennt seine eigenen Grenzen. Auch in den nächsten Jahren wird man die Kontakte, die man knüpft und die Geschichten, die man hört, weitergeben. Außerdem hat man in Zukunft ein Ziel an das man immer wieder zurückkehren möchte. Natürlich kann ich nur ein Reiseziel empfehlen: Irland! Werde ich noch einmal dorthin zurückkehren? Auf alle Fälle!
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