„100 Tage gegen Rassismus“ – eine Kunst- und Performance-Aktion von und mit Schüler:innen
Anne Pretzsch, Performancekünstlerin und stART.up-Alumna, und Gina Enslin, Projektassistenz
Die Kunst- und Performance-Aktion „100 Tage gegen Rassismus” setzt sich für Gleichberechtigung ein. Schüler:innen der 7. und 12. Klasse des Emilie-Wüstenfeld-Gymnasiums im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, der Hamburger Co-Creation Space eeden, die Initiative We A.R.E. e.V., die Performancekünstlerin und Projektinitiatorin Anne Pretzsch und ein kreatives Team lassen zusammen eine digitale Plattform mit hundert Kunstaktionen gegen Rassismus entstehen. Mit dem Projekt sollen mehr Aufmerksamkeit und Sensibilität für rassistische Diskriminierung geschaffen werden. Seit dem 1. Januar 2022 werden die Ergebnisse von „100 Tage gegen Rassismus“ auf der Projektwebseite in einer digitalen Galerie präsentiert.
Gefördert wird die Aktion vom Projektfonds „Kultur & Schule“, den die Behörde für Kultur und Medien und die Behörde für Schule und Berufsbildung im Auftrag der Hamburgischen Bürgerschaft umsetzen. Die Claussen-Simon-Stiftung wie auch weitere Hamburger Stiftungen geben zusätzliche Fördergelder mit hinein. Der Fonds soll es Künstler:innen sowie Kulturinstitutionen zusammen mit Schulen ermöglichen, Projekte zu realisieren und so den Zugang der Schüler:innen zu Kunst und Kultur zu erweitern.
Das Projekt „100 Tage gegen Rassismus“ ist in drei Phasen aufgeteilt. Die erste Phase begann im August 2021 und war dem Lernen, dem Input und der Diskussion gewidmet. In drei Workshops zum Thema Antirassismus wurden auch persönliche Fragen und Erfahrungen ausgetauscht: Wie ist Rassismus in unseren Leben präsent? Haben wir Rassismus selbst erfahren? Oder ertappen wir uns dabei, manchmal selbst rassistisch zu denken? Durchgeführt wurden die Workshops für die Schüler:innen und Lehrenden des Emilie-Wüstenfeld-Gymnasiums von We A.R.E. e.V., einer Hamburger Initiative zur frühkindlichen antirassistischen Erziehung und Bildung. Die intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit Rassismus in unserer Gesellschaft hat die Schüler:innen motiviert, genauer hinzuschauen, zu verstehen, sich einzusetzen und vor allem: zusammenzuhalten. So berichtet Sarah aus der 7e beispielsweise: „Ich finde es gut, dass wir alles so schön und gut erklärt bekommen haben. Außerdem finde ich es hilfreich, dass ein paar von Rassismus und Diskriminierung betroffene Personen erklärt haben, was daran schlimm ist und wie es sich für sie eigentlich anfühlt. Ich finde dieses Projekt toll! Aber es wäre besser, wenn wir es nicht nötig hätten.“
In der zweiten Projektphase von Oktober bis Dezember 2021 sollten die Schüler:innen mit kreativen Mitteln, in Kunstwerken und -aktionen Zeichen gegen Rassismus erarbeiten und setzen. „Kunst erzeugt Aufmerksamkeit und fördert den Dialog“, sagt Anne Pretzsch. Die Performancekünstlerin ist Alumna des Förderprogramms stART.up der Claussen-Simon-Stiftung und stand den teilnehmenden Gymnasiast:innen bei der Entwicklung ihrer Projekte als Coach zur Seite. In künstlerischen Sprechstunden half sie, Ideen zu konkretisieren und Konzepte weiterzuentwickeln. Auch nach dieser Phase beantwortet Anne Pretzsch künstlerische Fragen der Schüler:innen.
Besonders beeindruckt war sie von der Wachheit und dem bereits großen politischen Bewusstsein der Schüler:innen. Sie legte großen Wert darauf, gerade die künstlerische Freiheit der Schüler:innen zu fördern. Der Schwerpunkt des Projektes lag zwar auf performativen Ausdrucksformen, doch die Aktion ließ ausreichend Raum für weitere Kunstformate wie Bildende Kunst, Fotografie oder Schreiben. So sind im Laufe der Aktion Poster, Podcasts, Performances, Gedichte, aber auch ganz neue Formate wie sogenannte „künstlerische Überfälle“ entstanden. Hierbei überlegten sich die Schüler:innen, unangekündigt in andere Klassen zu gehen, den Unterricht überfallartig zu übernehmen und ihr neues Wissen weiterzugeben. Die Lehrenden werden überrascht und vorsichtig festgebunden, denn die Botschaft des Überfalls ist: Schule muss warten, wir haben hier etwas viel Wichtigeres zu sagen! Am Ende des „Überfalls“ steht ein kreativer Output, der dann auf der Projektwebseite bestaunt werden kann.
Das Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium engagiert sich in besonderem Maße gegen Rassismus und für mehr Diversität. Dafür wurde eine Beförderungsstelle für interkulturelle Bildung geschaffen. Einige Lehrende absolvierten außerdem das Diversity-Training „Dive in“, um diese Erfahrung ins Kollegium und in die Schule zu tragen. Die Schulbibliothek richtete eine Leseecke ein, mit Texten zur antirassistischen Bildung, Romanen von Autor:innen of Color und mit BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color) als Hauptfiguren. Auch eine antirassistische AG wurde ins Leben gerufen. Die Mitglieder dieser AG konnten an den Workshops von We A.R.E. teilnehmen. Auch sie sind nun Multiplikator:innen ihres neuen Wissens innerhalb der Schule. „Je mehr dabei sind, umso mehr können wir erreichen und auf diese Weise gemeinsam eine breite Schulgemeinschaft ansprechen und auf Augenhöhe aufklären“, stellt Tina Weggler, die projektverantwortliche Lehrerin am Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium, fest.
Am 1. Januar 2022 wurde die dritte und letzte Projektphase eingeläutet: Eine digitale Galerie öffnete ihre Türen. An 100 Tagen werden die 100 Beiträge, die die Schüler:innen in den Workshops erarbeitet haben, nach und nach auf der Website, die von Timo Rychert und Paul Rutrecht, Lehrbeauftragte am Department Design der HAW Hamburg, gestaltet wurde, der interessierten Öffentlichkeit präsentiert.
Und wie geht es danach weiter? Andere Schulen in ganz Hamburg sind bereits dazu aufgerufen, eigene Ideen einzureichen. So soll das Projekt als „Open Space“ noch mehr Perspektiven zeigen und stetig wachsen. Denn klar ist: „100 Tage gegen Rassismus“ ist nur ein Anfang.
Foto: Tina Weggler
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