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Die Claussen-Simon-Stiftung schreibt in Kooperation mit der Elbphilharmonie Hamburg und dem NDR Elbphilharmonie Orchester einen Kompositionspreis für junge Komponist:innen aus.

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Dr. Jenny Svensson
Bereichsleitung Kunst & Kultur
040 380 38 15 26
svensson@claussen-simon-stiftung.de

Alex Paxton, Claussen-Simon-Kompositionspreis 2023

Der Claussen-Simon-Kompositionspreis 2023 geht an Alex Paxton. Ein neues Werk des britischen Komponisten wird im Frühjahr 2025 im Rahmen des Festivals "Elbphilharmonie Visions" von Alan Gilbert und dem NDR Elbphilharmonie Orchester uraufgeführt. Eine hochkarätig besetzte Jury um Alan Gilbert hatte eine Vorauswahl aus 150 anonym eingereichten Skizzen getroffen und nach einer sogenannten Reading Session, bei der vier Finalist:innen mit dem Orchester arbeiten konnten, die finale Entscheidung getroffen. Neben dem Gewinner Alex Paxton waren die Komponist:innen Reika Hattori, Hristina Šušak und Tomoya Yokokawa zur Reading Session eingeladen. Die Jury lobte insbesondere die eigenständige, ungewöhnlich farbige kompositorische Sprache Paxtons, die sich dezidiert von anderen ästhetischen Positionen der aktuellen Neuen Musik unterscheidet. Teil der Jury war auch die schwedische Komponistin Lisa Streich als erste Preisträgerin des Claussen-Simon-Kompositionspreises, deren Werk "Flügel" bei der diesjährigen Ausgabe von "Elbphilharmonie Visions" für große Begeisterung bei Publikum und Kritik gesorgt hatte. Zudem gehörten die Komponisten Matthias Pintscher sowie Prof. Dr. Reinhard Flender und Prof. Fredrik Schwenk von der Hochschule für Musik und Theater Hamburg der Jury an.

Prof. Dr. Regina Back, Geschäftsführender Vorstand der Claussen-Simon-Stiftung: "Mit Alex Paxton hat die unabhängige Jury einen Rising Star der internationalen Komponist:innenszene zum Preisträger gekürt, dessen innovativer musikalischer Zugriff überrascht und begeistert. Wir sind sehr gespannt auf das neue Werk, das er nun schreiben wird, und freuen uns auf die Uraufführung im Rahmen der ›Elbphilharmonie Visions‹ im Februar 2025."

Alan Gilbert, Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters: "Die faszinierende Partitur von Alex Paxton hat mich vom ersten Moment an stark beeindruckt. Ohne Namen oder Background des Komponisten zu kennen, sprangen mir die Noten förmlich aus der Partitur entgegen; es war klar, dass es sich hier um eine einzigartige kompositorische Stimme handelt, die eine komplexe, fast chaotische Sensibilität mit einer charmanten Grundierung in volkstümlicher Tradition verbindet."

Alex Paxton freut sich auf die Arbeit mit dem Orchester in diesem besonderen Rahmen: „Ich fühle mich sehr privilegiert, mit diesem Preis ausgezeichnet worden zu sein. Ich versuche, Musik zu machen, die in jedem Moment eines jeden Stücks so klangsinnlich und anregend wie möglich ist. Das Ziel ist, meine aus der Performativität kommende musikalische Sprache auf das Sinfonieorchester zu übertragen. Es war eine schöne Erfahrung, mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester zu arbeiten. Die Musiker:innen waren freundlich und klangen großartig. Ich habe besonders die respektvolle Art und Weise geschätzt, mit der Alan Gilbert die Musik einstudiert hat.“

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Foto: David Lössl

Alex Paxton, 1990 in Manchester geboren, ist Komponist und improvisierender Posaunist. Er studierte Jazz und Komposition in London an der Royal Academy of Music und am Royal College of Music. Seine Musik wurde bereits von namhaften Orchestern und Ensembles aufgeführt, darunter das Ensemble Modern, die London Sinfonietta, das London Symphony Orchestra, das London Philharmonic Orchestra und das Nouvel Ensemble Contemporain. Im Jahr 2021 wurde er mit dem Ivor Novello Composer Award ausgezeichnet, 2023 erhielt er den Hindemith-Preis. Zu seinen Werken gehören u. a. "NOW ER ARE DUH-DUR"« für großes Ensemble, "RAINY RAIN RAIN" für sechs Sänger und Klavier und "PRAYER with Strings". Alex Paxton hat bisher sechs Opern geschrieben, darunter "NOGGIN and the WHALE", "WOOLF MUSIC" und "BEL and the DRAGON". Seine Musik wird von Ricordi (Berlin) veröffentlicht.

         

Die Claussen-Simon-Stiftung schrieb 2023 zum zweiten Mal den mit 15.000 Euro dotierten Claussen-Simon-Kompositionspreis in Kooperation mit der Elbphilharmonie Hamburg und dem NDR Elbphilharmonie Orchester aus. Der Kompositionspreis wird in Form eines Auftragswerks für großes Orchester an eine:n junge:n Komponist:in (Altersgrenze: 35 Jahre) vergeben. Die Uraufführung ist im Rahmen des Festivals „Elbphilharmonie Visions“ im Februar 2025 geplant.

Ziel des Kompositionspreises ist es, einer:m jungen Komponist:in die Uraufführung eines groß angelegten Werks in einem musikalisch exzellenten Rahmen zu ermöglichen und zugleich inhaltliche und organisatorische Begleitung im Laufe des Kompositionsprozesses zu bieten. Durch die Zusammenarbeit der drei renommierten Institutionen erfährt der/die Ausgezeichnete umfangreiche Förderung, Vermittlung wertvoller Erfahrungen und aktive Unterstützung auf dem Weg zu einer professionellen Etablierung als Komponist:in. Zentral dabei ist ein direkter Austausch mit wesentlichen Akteur:innen von Orchester, Konzerthaus und Stiftung.

Ich freue mich sehr, dass die Claussen-Simon-Stiftung diesen neuen Kompositionspreis gestiftet hat, denn er ergänzt unser neues Festival Elbphilharmonie Visions kongenial. Die Förderung der zeitgenössischen Musik erfährt hier unmittelbar eine Übersetzung ins Praktische, weil sichergestellt ist, dass das ausgezeichnete Werk in exponiertem Rahmen erklingt – und im Großen Saal der Elbphilharmonie, der für die neue Musik wie geschaffen ist.

Christoph Lieben-Seutter
Generalintendant Elbphilharmonie & Laeiszhalle

Ein besonders wichtiger Bestandteil unserer Feier der zeitgenössischen Musikwelt ist die Anerkennung und die Unterstützung der herausragenden Komponisten der neuen Generation. Die Initiative der Claussen-Simon-Stiftung für den Kompositionspreis in Zusammenhang mit dem neuen Festival Elbphilharmonie Visions ist von immenser Bedeutung für dieses Ziel.

Alan Gilbert
Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters


 

LISA STREICH: CLAUSSEN-SIMON-KOMPOSITIONSPREIS 2020

Über Lisa Streich

Lisa Streich ist die erste Preisträgerin des mit 15.000 Euro dotierten Claussen-Simon-Kompositionspreises. Am 2. Februar 2023 wurde im Rahmen der Biennale „Elbphilharmonie Visions“ ihr Werk „Flügel“ mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Alan Gilbert im Großen Saal der Elbphilharmonie uraufgeführt.

Lisa Streich, geboren 1985 im schwedischen Norra Råda, studierte Komposition und Orgel in Berlin, Stockholm, Salzburg, Paris und Köln, u.a. bei Johannes Schöllhorn, Adriana Hölszky, Mauro Lanza und Margareta Hürholz. Meisterkurse bei u.a. Chaya Czernowin, Steven Takasugi und Beat Furrer runden ihre musikalische Ausbildung ab. Ihre Musik wurde u.a. in Schweden, Deutschland, Israel, Frankreich, Österreich, Großbritannien, Japan, Kanada und in den USA gespielt. Unter den ausführenden Ensembles waren das Deutsche Symphonieorchester Berlin, Quatuor Diotima, Ensemble Recherche, Nouvel Ensemble Moderne, OENM, der Eric Ericsson Kammerchor und Schwedens Radiochor. Ihre Musik war beim MATA Festival New York, beim Festival Ultraschall Berlin, den Festivals IRCAM Paris, Wien Modern sowie im Kölner Dom zu erleben. Lisa Streich erhielt neben weiteren den Orchesterpreis des Anne-Sophie Mutter Fonds, den Busoni-Förderpreis der Akademie der Künste Berlin, den Rom-Preis der Villa Massimo, den Ernst von Siemens Komponistenpreis und war Inhaberin des Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendiums. Lisa Streich ist außerdem Gewinnerin von ricordilab 2019-2022, einem Förderprogramm für junge Komponist:innen, durchgeführt von Ricordi Berlin in Kooperation mit internationalen Partnern. Ihre Werke wurden u.a. bei WERGO/Edition zeitgenössische Musik und bei KAIROS veröffentlicht.

Meine Freude ist groß, den ersten Claussen-Simon-Kompositionspreis zu erhalten und ein neues Stück für großes Orchester, Alan Gilbert und diesen Saal zu schreiben. Hamburg ist meine deutsche Heimat. Hier begann meine musikalische Biographie in meiner Jugend. Es berührt mich deshalb sehr, hierher mit Musik zurückzukommen, wo meine Liebe zu ihr doch hier begonnen hat, quasi die Wiege all meiner musikalischen Gedanken ist. Ich hege eine große Faszination für Alan Gilberts Klang – den ich 2016 zum ersten Mal live in Luzern erleben durfte. Er besitzt in meinen Ohren eine ganz besondere, geerdete Farbe. Ob und wie ich diese und das klangliche Relief des Saals in das Werk einschreiben werde können, darauf bin ich sehr gespannt. Ich danke der Claussen-Simon-Stiftung für diese faszinierende Aufgabe.

Lisa Streich

YouTube-Video

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Alan Gilbert, Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters und Jury-Mitglied: “Lisa Streich is a composer whose music is being played more and more around the world. When we played her music as part of the selection process to find the winner of the Claussen-Simon-Kompositionspreis her music really stood out as being original, fresh and totally unique. I am very excited that we can present this important new voice in contemporary music.”

Prof. Dr. Regina Back, Geschäftsführender Vorstand der Claussen-Simon-Stiftung: "Wir freuen uns, mit Lisa Streich eine herausragende und musikalisch ausdrucksstarke Komponistin zu fördern, die sich in ihrem neuen Werk ganz auf die Besonderheiten des Konzertsaals eingelassen hat. Wir sind sehr gespannt auf die Uraufführung ihrer Komposition FLÜGEL, die als Auftragswerk entstanden ist. Nicht nur der Auftrag selbst ist Teil des Claussen-Simon-Kompositionspreises, sondern ebenso die exzellenten Rahmenbedingungen, unter denen das Werk zur Uraufführung kommen wird. Mehr Bühne geht in Hamburg nicht!“

Lisa Streich darüber, was die Auszeichnung für sie bedeutet: "Der Claussen-Simon Kompositionspreis bedeutet für mich zum einen, ein Orchesterstück schreiben zu dürfen, was immer eine große Freude und neue Erfahrungen mit sich bringt. Zum anderen ermöglicht er mir, den großen Saal der Elbphilharmonie kennenzulernen und ,ausnutzen‘ zu dürfen. Meine Musik bewegt sich teilweise nah an der Stille, und da sind Konzertsäle wie die Elbphilharmonie von besonderer Bedeutung, sie können gewissermaßen eine amplifizierte Stille abbilden und mit Raum füllen.“

„Flügel“ entstand als Auftragswerk, das mit der Vergabe des Claussen-Simon-Kompositionspreises verbunden ist. Das Orchesterwerk beschreibt Lisa Streich so: „FLÜGEL ist eine Choreographie von verschiedenartigen Flügeln, die auf das Orchester projiziert werden. Rechts, links, tutti, von links nach rechts, von rechts nach links. Verschiedenartigste Flügel werden über und durch das Orchester aufgespannt. Von zarten Flügelnetzen, die von solistischen Kontrapunkten durch das Orchester gespannt werden, bis hin zu krachenden Tutti-Flügeln.“

Interview mit Lisa Streich

Welche Bedeutung hat der Claussen-Simon-Kompositionspreis für Dich?

Es ist, als ob sich der Kreis schließt. Zum einen habe ich im Rahmen eines Meisterkurses in Luzern 2016 mein erstes großes Orchesterstück aufführen können, und seitdem habe ich mir immer gewünscht, wieder ein Stück für große Orchesterbesetzung zu schreiben. Zum anderen ist es ein ganz besonderes Gefühl, nun dank des Kompositionspreises zurück nach Hamburg zu kommen. Denn hier habe ich als Jugendliche Klavier- und Kammermusikunterricht an der Hochschule für Musik und Theater erhalten. Alles greift auf gewisse Weise ineinander: Ich habe zwar als Jugendliche in Hamburg in Konzerten gespielt, aber meine Musik ist hier selten gespielt worden. Die Uraufführung des neues Werks in der Elbphilharmonie ist auch deshalb ein ganz besonderes Erlebnis für mich.

Beeinflusst die Tatsache, dass Dein Werk im Großen Saal der Elbphilharmonie aufgeführt werden wird, Deine Komposition? Ist die besondere Akustik des Saales ein Aspekt, der sich in das Werk einschreiben wird?

In meiner Musik gibt es immer starke Kontraste. Teilweise ist sie sehr laut, und teilweise auch sehr sehr leise. Diese Differenz geht in den falschen Sälen unter. Entweder wird sie so komprimiert, dass die Extreme nicht mehr herauskommen, oder die Musik wird verschluckt und man hört sie gar nicht mehr. Schon in der Listening Session zum Claussen-Simon-Kompositionspreis in der Elbphilharmonie war zu merken, dass dort im Großen Saal wirklich alles zu hören ist, jede Nuance, auch wenn es ganz ganz leise ist. Und das ist natürlich sehr spannend, denn dadurch öffnet sich das ganze klangliche Spektrum, meiner Komposition sind gewissermaßen keine Grenzen gesetzt.

Was bedeutet die Zusammenarbeit mit Alan Gilbert, dem Chefdirigenten des NDR Elbphilharmonie Orchesters, für Dich?

Alan Gilbert habe ich 2016 in einer Master Class in Luzern erlebt, und es war wirklich ein einschneidendes Erlebnis für mich. Denn dort konnte ich ein Stück, dirigiert von vielen verschiedenen Dirigenten, hören. Es war sehr faszinierend: Ein und dasselbe Stück war so unglaublich unterschiedlich in Klang und Ausdruck, je nachdem, wer am Pult stand. Man denkt, dass die Gesten sehr viel ausmachen, die Expressivität des Dirigenten. Doch nur die Art, wie sie standen, wie sie sich positionierten, hat schon so viel ausgemacht. Die Bedeutung des Dirigenten für Wirkung und Interpretation von Musik ist mir dort sehr unmittelbar bewusst geworden. Alan Gilbert hat sich hingestellt, und es gab diese Erdung bei ihm, der Klang stand auf festen Füßen. Das war sehr faszinierend. Seitdem höre ich mir immer wieder Konzerte mit ihm an.

Wird es während des Kompositionsprozesses einen Austausch mit dem Dirigenten und dem Orchester geben?

Ja, das ist so vorgesehen, und ich möchte unglaublich gerne nach Hamburg kommen und Dinge ausprobieren. Aus solchen direkten Zusammentreffen lässt sich sehr viel mitnehmen. Ich kann viel weiter gehen, als es normalerweise möglich ist, wenn ich zum Beispiel nur einen Auftrag habe und dann erst zur Endprobe vor dem Konzert komme. Das ist immer eine vergebene Chance. Auch für die Orchestermusikerinnen und -musiker ist es schön, Teil des Prozesses zu werden. Manchmal haben sie auch noch sehr gute Vorschläge, wenn sie verstehen, wonach man sucht. Das ist ein spannender, wechselseitiger, inspirierender Prozess. Je stärker sie eingebunden sind, desto stärker ist auch das musikalische Erlebnis für sie, denke ich.

Beeinflusst die Corona-Krise Deine Arbeit in irgendeiner Weise? Welche Wirkung haben äußere Ereignisse auf Dein Schaffen und Deine Musik?

Ich bin definitiv jemand, die sich sehr vom Leben beeinflussen lässt in der Musik. Wir durchleben eine ganz spezielle Zeit, und ich denke, das wird man auch in allen Musiken, die jetzt geschrieben werden, spüren, man wird etwas Gemeinsames heraushören können. Was das ist, das weiß man natürlich noch nicht. Aber es ist etwas Merkwürdiges in der Luft, eine bestimmte Ungewissheit, was zurzeit unser aller Leben prägt, und das wird sich sicher ganz automatisch in die Musik einschreiben, ohne dass ich es jetzt mit Worten fassen könnte.

Allgemeiner gefragt: Wie entsteht eine Komposition?

In der Regel denke ich erst einmal sehr lange nach, bevor ich etwas zu Papier bringe. Wenn ich dann verschiedene Teile vom Stück im Kopf habe, versuche ich das erst mal zu skizzieren und dann immer mehr im Detail auszuarbeiten, auf Notenpapier. Ich arbeite nur am Schreibtisch, Instrumente würden mich eher stören und ablenken, den Fokus schwächen. Erst wenn ich die Orchesterstimmen für die einzelnen Stimmen ausarbeite, nutze ich auch Instrumente, um den Klang zu prüfen. Aber wenn ich am Ganzen arbeite, nutze ich am liebsten nur Papier.

Wie gehst Du an dieses neue Auftragswerk, das mit dem Kompositionspreis verbunden ist, heran?

Ich habe mir Zeit zum Nachdenken gegeben bis August. Fragmente habe ich schon. In den merkwürdigsten Momenten kommen plötzlich Ideen. Aber ich weiß noch nicht, wie das Ganze aussehen wird, wie es sich anhören soll. Und das ist auch das Spannende: Wenn ich mich dann an den Schreibtisch setze, führt das oft dann noch einmal ganz woanders hin. Es ist ein nie stillstehender Prozess. Ich nenne das „Konversation mit der Musik“. Die Musik und ich, wir führen einen Dialog über die Möglichkeiten, und der kann in ganz verschiedene Richtungen führen. Und schließlich zum fertigen Werk.

Gibt es diesen einen Punkt, wenn klar ist: Das Werk ist fertig! Oder passiert dies auch eher in einem Prozess des Übergangs?

Ja, diesen Moment gibt es ganz eindeutig. Dann weiß ich über das Stück: Du bist jetzt ein eigenständiges Werk. Wenn es nicht fertig ist, dann wurmt mich das, dann muss man einfach warten, weiterschauen, wo der Fehler liegt. Ich gebe dem Werk immer erst ganz am Schluss die eigentliche Form, oft kann man die Form dann einfach verändern, sodass das Ganze mehr Sinn macht. Oder man muss tatsächlich noch etwas hinzufügen oder etwas wegnehmen. In der Regel werfe ich die Hälfte im Laufe einer Komposition weg. Das ist natürlich zeitlich gesehen ein großer Schwund, aber kurz und prägnant ist besser als lang und unentschlossen. Das ist ein Teil des Prozesses, es gehört dazu.

Der Moment der Uraufführung: Hast Du davon Bilder im Kopf, ist es das Ziel, auf das Du hinarbeitest? Oder schiebst Du diese Vorstellung eher weg?

Es ist eigentlich wie eine Geburt: Wenn das Werk da ist, wenn es erklingt, ist es immer eine Spur anders, als man es sich vorgestellt hat, es gibt immer Überraschungen. Bei der Aufführung verändert es sich auch im Vergleich zu den Proben, weil dann die Zuhörer im Saal sind. Man spürt ihre Anwesenheit und wie sie die Musik hören. Die Leute fragen mich häufig, wie es für mich war. Aber ich kann in diesen Momenten eigentlich gar nicht richtig zuhören. Weil das so intensiv ist.

Nimmst Du Dir für Deine Werke Themen vor?

Ich habe durchaus oft außermusikalische Ausgangspunkte, die ich aber nicht vermitteln möchte. Sie dienen eher als roter Faden für mich und das Stück. Aber ich möchte damit die Zuhörer nicht limitieren. Man beraubt sie damit um das eigene Erleben. Jeder soll beim Zuhören Zeit haben, dazu Stellung zu nehmen, sich eigene Fragen zu stellen. Wo befinde ich mich jetzt in diesem Stück, kann ich irgendetwas spüren, was vielleicht auch in meinem Leben relevant ist? Das kann ja sehr unterschiedlich aussehen, ich mag die Zuhörer nicht ihrer subjektiven Wahrnehmung berauben, indem ich konkrete Themen setze. Ich will ihnen nichts aufdrängen.

Wie findest Du dann die Titel für Deine Stücke?

Ich versuche immer Titel zu wählen, die mindestens zweideutig sind, wo sich viel reininterpretieren lässt und die sehr offen sind, sodass jeder seinen eigenen Bezug finden kann.

Zu welchem Zeitpunkt im Kompositionsprozess fällt die Entscheidung für einen Titel?

Oft habe ich die Titel schon am Anfang im Kopf, meistens werden das dann auch die besseren Stücke, wenn ich von Anfang an weiß, wie es heißen wird. Wenn ich am Ende des Stückes keinen Namen habe, scheint auch das Stück nicht sehr prägnant geworden zu sein. Häufig habe ich auch Arbeitstitel, manchmal sogar zwei oder drei, und dann merke ich im Laufe des Komponierens, welcher Titel wirklich passt, worum es in der Musik geht.

Arbeitest Du parallel an mehreren größeren Werken?

Ja, durchaus. Ich werde jetzt auch zwei Stücke parallel schreiben. Das ist sehr gesund, weil man immer wieder Pausen zum Nachdenken machen muss, finde ich. Und die kann man dann gleich für ein anderes Stück nutzen. Das ist erfrischend, weil Stücke einem auch, so wie Menschen, irgendwann auf die Nerven gehen. Da ist ab und an eine Pause notwendig, etwas Abstand. Dann freue ich mich wieder, daran weiterzuarbeiten. Es ist immer ganz wichtig, dass ich zwei Schreibtische habe, damit die Stücke dann wirklich ruhen dürfen, auf ihrem eigenen Schreibtisch. Wenn man die Papiere zusammenpacken und wegpacken muss, dann wäre das ganz weg, verschlossen, dann ist das nicht mehr in der Luft, die es für die Entwicklung braucht. Dieser Schwebezustand ist wichtig.


Sarah-Isabel Conrad, Bereichsleitung Kommunikation, sprach im April 2020 per Skype mit Lisa Streich in ihrem schwedischen Zuhause.