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How to implement a worldwide study in times of COVID-19 – ein Erfahrungsbericht eines PhD-Studierenden
Andreas Köhler, Stipendiat bei Dissertation Plus
Es ist Freitag, der 20. März 2020. Vor zwei Tagen hielt Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel eine historische Rede, in der sie die COVID-19-Pandemie als die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete. Wenige Tage später wird das sogenannte „umfassende Kontaktverbot“ in Kraft treten. In diesen Tagen begann auch der kometenhafte Aufstieg der Virologen/-innen. Namen wie Wieler, Drosten oder Kekulé, die vorher nur den versierten Fachvertretern/-innen bekannt waren, erhielten plötzlich eine öffentliche Aufmerksamkeit, die ihresgleichen suchte.
Seit einer Woche war auch ich mit dieser neuartigen Situation konfrontiert. Ich bin Psychologe, promoviere mit einem Dissertationsstipendium der Claussen-Simon-Stiftung am Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und studiere im Zweitstudium Medizin. Ich forsche zur medizinischen Versorgung von trans*-Personen (transgender, transsexuell, genderfluid …). Deren Kontakt zur medizinischen Versorgung ergibt sich bspw. häufig aus der Inanspruchnahme einer lebenslangen Hormontherapie oder aufgrund genitalchirurgischer Maßnahmen. Der Zugang von trans*-Menschen zum Gesundheitssystem ist seit jeher erschwert, sei es durch diskriminierende Gesetze (vgl. Transsexuellengesetz) oder durch die medizinischen Fachkräfte selbst. Selbst in heutigen, vermeintlich aufgeklärten, pluralen Zeiten, werden ihre Existenz und ihre medizinischen Bedürfnisse immer noch häufig marginalisiert oder hinterfragt.
Zurück zum Freitag, dem 20. März 2020. Ich habe gerade zwei Manuskripte aus meiner Promotionsstudie an meinen Forschungsgruppenleiter zur Rückmeldung geschickt. Wer schon einmal in wissenschaftlichen Journals publiziert hat, weiß, dass nun ein nicht enden wollender Marathon aus Rückmeldungen aller Co-Autoren/-innen beginnt und an ein Einreichen des Manuskripts beim Journal noch lange nicht zu denken ist. Am selben Nachmittag geht eine E-Mail meines Institutsdirektors über unseren Institutsverteiler ein: eine Zusammenstellung erster Veröffentlichungen zum Zusammenhang von COVID-19 und psychischer Gesundheit, u.a. geht es darum, wie sich die COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Intensiv-Pflegern/-innen in Wuhan auswirkte. Als ein Forschender, der sich mit Fragen von Zugangsbarrieren zum Gesundheitswesen beschäftigt, stellte sich mir schnell die Frage: Wie werden wohl trans*-Menschen die jetzige Zeit erleben? Wird es noch möglich sein, Hormonpräparate zu bekommen? Wie wird es mit geplanten OPs? Wie kann psychischen Krisen begegnet werden? Eine kurze Internetrecherche zeigte, dass sich zwar verschiedene Institutionen und Selbsthilfeverbände auf der ganzen Welt bereits zum Thema geäußert hatten und Handlungsempfehlungen formuliert wurden, klare wissenschaftliche Evidenz jedoch fehlte. Was also tun als Doktorand mit einer bereits übervollen To-Do-Liste: Das, was jede/-er Doktorand/-in tun würde: dieser Liste noch etwas mehr Arbeit hinzufügen. Also schrieb ich eine E-Mail an meinen Forschungsgruppenleiter mit der Frage, was er davon halte, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf trans*-Personen zu untersuchen. Am Abend, ich war gerade via Videocall mit einer Vielzahl von guten Freunden/-innen in einer mittlerweile zur Tradition gewordenen Zusammenkunft namens „Pixelkneipe“ zusammen, erhielt ich Antwort: „Coole Idee.“ Damit war also klar, dass arbeitsreiche Wochen bevorstanden.
Wie funktioniert die Konzipierung einer internationalen Studie aus dem Homeoffice?
Letztlich funktioniert die Konzeption einer Studie aus dem Homeoffice ähnlich zu den Zeiten vor Corona, als keine Kontaktbeschränkungen notwendig waren. Jedoch gibt es trotz allem einige Besonderheiten, auf die es sich einzustellen gilt. Natürlich ist der erste Schritt, eine klare Fragestellung zu formulieren. Wichtig war uns zu erfassen, wie sich die COVID-19-Pandemie ganz konkret auf die Gesundheit und medizinische Versorgung von trans*-Menschen auswirkt. Im Anschluss ging es um die Verteilung der Aufgaben. Während ich mich mit der inhaltlichen Umsetzung unserer Fragestellung befasste, d.h. Literaturrecherche zur Forschung in früheren Pandemie-Szenarien, Fragebogenerstellung, Schreiben eines Ethikantrages usw., übernahm mein Forschungsgruppenleiter die Akquise von potenziellen Kooperationspartnern/-innen; schließlich wollten wir so viele Menschen wie möglich erreichen. Wir involvierten einen weiteren Kollegen aus Belgien und wurden eine Kerngruppe von drei Forschenden. Darüber hinaus konnten wir Kooperationen mit einer Vielzahl von Forschenden sowie Community-Vertretern/-innen aus der ganzen Welt herstellen. Die theoretischen und strukturellen Grundlagen waren damit geschaffen. Nun ging es darum, diese Grundlagen in eine hochwertige wissenschaftliche Studie umzusetzen.
Zentral in unserer Arbeit wurden Videocalls, eine Art der Kommunikation, die zumindest in unserer Forschungsgruppe bisher nicht üblich war. Alle möglichen Themen, die sonst in einer schnellen Zusammenkunft im Büro besprochen wurden, mussten nun über geteilte Bildschirme und Webcams ausgehandelt werden. Nebenbei schwoll die sowieso schon unübersehbare Flut von E-Mails noch etwas weiter an. In Folge der Kooperation mit vielen internationalen Partnern/-innen, von denen viele in anderen Zeitzonen leben, waren geregelte Arbeitszeiten mehr oder minder relativ geworden. Immer wieder war es notwendig, Arbeiten am späten Abend oder in der Nacht zu erledigen. Von Vorteil war dabei aber freilich der gegenwärtige shutdown, der den strukturierten Alltag heftig in Frage stellt. Aspekte wie Projektgruppentreffen oder Kick-Off-Meetings, die im regulären wissenschaftlichen Betrieb häufig als unabdingbar und alternativlos verstanden werden, waren plötzlich sehr viel einfacher auch online möglich. Mit entscheidenden Vorteilen: dem Fokus auf das Wesentliche der Arbeit sowie einer damit einhergehenden großen Zeitersparnis. Scheinbar ist also im sonst so unflexibel daherkommenden deutschen Wissenschaftssystem mehr Bewegung möglich als gedacht.
TransCareCovid-19 – Measuring the impact of the COVID-19 pandemic on trans health & trans health care
Die aktuelle COVID-19-Pandemie stellt die Gesundheitssysteme in der ganzen Welt vor neue Herausforderungen und bedeuten zum Beispiel auch massive Einschränkungen der medizinischen Grundversorgung. Diese Einschränkungen betreffen unweigerlich auch trans*-Menschen, deren Zugang zur medizinischen Versorgung bereits vor der COVID-19-Pandemie eingeschränkt war und nun weiter beeinträchtigt wird. Anekdotische Evidenz, etwa aus Blogeinträgen oder individuellen Berichten, lassen den Schluss zu, dass diese Beeinträchtigungen für vulnerable Gruppen wie trans*-Menschen ganz besonders herausfordernd sind.
Ziel unserer Studie ist es deshalb zu ermitteln, wie sich die COVID-19-Pandemie auf die psychische und körperliche Gesundheit von trans*-Menschen sowie deren Zugang zum Gesundheitssystem auswirkt (weitere Infos unter http://transcarecovid-19.com). Die Ergebnisse der Studie werden sowohl an lokale Trans-Organisationen wie auch an medizinische Fachkräfte weitergeben. Hiermit wollen wir darüber informieren, was trans*-Menschen im Umgang mit der COVID-19-Pandemie und ihren Auswirkungen benötigen.
Was lässt sich also aus meinen Erfahrungen mitnehmen? Auch in herausfordernden Zeiten wie den heutigen ist hochwertige wissenschaftliche Arbeit möglich und vielmehr sogar nötig. Arbeitsweisen, die noch vor zehn Wochen an deutschen Hochschulen oft als undenkbar galten, funktionieren hervorragend. Wissen kann also auch auf diesem Wege generiert werden. Und für die Eine oder den Anderen stellt sich in Zukunft vielleicht sogar heraus, dass die Arbeit im Homeoffice die produktivere ist als die im Büro. Dass sie produktiv sein kann, das kann zumindest ich anhand unseres Studienprojekts uneingeschränkt bejahen.
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