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Desinformation vs. Demokratie – Die Gefahr der falschen Information
Lena Trilsbeek, Master Plus-Stipendiatin
Dass die Verbreitung von Desinformationen und Fake News auf Social Media negative Auswirkungen auf die Demokratie haben, ist bekannt und ließ sich bereits mehrfach beobachten und nachweisen. So waren zum Beispiel der US-Wahlkampf 2020 oder die Querdenker-Bewegung in Deutschland massiv von Desinformationen geprägt. Aber wie konkret ist der Zusammenhang zwischen Desinformationen und einer instabilen Demokratie? Inwiefern können Desinformationen den öffentlichen Diskurs manipulieren? Und wie kann dem entgegengewirkt werden?
Anstelle von Desinformationen wird im allgemeinen Sprachgebrauch oft der Begriff „Fake News" verwendet. Gleichzeitig nutzen ihn politische Akteur:innen als Teil ihrer rhetorischen Strategie, um bestimmte Nachrichten(-organisationen) oder Personen zu delegitimieren. Ein Effekt ist, dass das Misstrauen gegenüber offiziellen Nachrichtensendern steigt und sich Tendenzen der gesellschaftlichen Polarisierung verstärken (Pérez-Escolar et al. 2023, S. 77). Auch wissenschaftlich ist der Begriff „Fake News" nicht eindeutig definiert (Tandoc et al. 2018). Um das Problem und die Macht von Falschinformationen im politischen Kontext korrekt zu erläutern, wird deshalb im Folgenden zwischen „Mis-Information“ (dt. Fehlinformation), „Dis-Information“ (dt. Desinformation) und „Mal-Information“ unterschieden. Fehlinformationen bezeichnen unbeabsichtigt verbreitete falsche Informationen, während Desinformationen und Malinformationen darauf abzielen, den öffentlichen Diskurs aktiv zu beeinflussen. Der Begriff Desinformation beschreibt erfundene, falsche Informationen, die verbreitet werden, um zu schaden. Malinformationen dagegen sind korrekte Informationen mit demselben Ziel, wie zum Beispiel der Hack von E-Mail Accounts von Hillary Clintons Wahlkampfteams durch russische Agenten, welche gezielt Informationen an die Öffentlichkeit brachten, um Clintons Ruf zu schädigen (Wardle 2019).
Auch ökonomisch werden Des- und Malinformationen genutzt, um Reichweite zu gewinnen und damit zum Beispiel Werbeeinnahmen zu steigern. Im politischen Kontext geht es vorrangig darum, öffentliche Stimmungen – gern zum Negativen – zu beeinflussen, Hoffnungen und vor allem Ängste zu schüren, öffentliche Diskurse zu dominieren und homogenisieren. Unter anderem durch die Generierung medialer Aufmerksamkeit werden gesellschaftliche Meinungen und Präferenzen aktiv manipuliert (Götz-Votteler und Hespers 2019, S. 24–26).
Die Logik der Desinformationsverbreitung korreliert mit der Logik von Social-Media-Plattformen. Hier werden Nutzer:innen ermutigt, Emotionen zu teilen und sich zum Beispiel in Kommentarspalten an Debatten – gerne kontrovers oder sogar polarisiert – zu beteiligen. Mithilfe von Social Bots oder gefälschten Follower:innen werden Debatten zusätzlich beeinflusst, um hohe Interaktionsraten zu generieren sowie gleichzeitig mehr Reichweite und Glaubwürdigkeit (Schmid et al. 2018, S. 82). Sobald der Algorithmus ein bestimmtes Muster in den Themeninteressen der Nutzer:innen erkennt, befinden sich diese in sogenannten Echokammern oder Filterblasen, in denen eine bestimmte Meinung immer wieder geteilt wird. Alle anderen scheinen die gleiche Meinung zu teilen – in der Folge polarisiert sich die Debatte weiter (Wardle und Derakhshan 2017, S. 51). Um diese Dynamik aufzubrechen, müssten alle Nutzer:innen ständig in der Lage sein, falsche Informationen zu erkennen, um sie nicht als valide Basis zur eigenen Meinungsbildung zu nutzen.
Während soziale Medien damit zunehmend zum Schauplatz politischer Debatten werden, sinken sowohl die Nutzungszahlen von traditionellen Nachrichtenkanälen wie etablierten Zeitungen oder öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern als auch das Vertrauen in sie (Newman 2023, 10). Während in Deutschland zum Beispiel 2015 noch 63 Prozent der Bevölkerung den meisten Nachrichten vertrauten, sind es 2023 nur noch 43 Prozent (Newman 2023, S. 77). Politische Akteur:innen delegitimieren gezielt die sogenannte „Lügenpresse“, also traditionelle Nachrichtenplattformen, um das Vertrauen in die von ihnen verbreiteten Desinformationen zu erhöhen (Götz-Votteler und Hespers 2019, S. 24). Immer mehr Menschen – insbesondere junge – beziehen Nachrichten und Informationen großteils von Plattformen mit Kurzform-Inhalten wie TikTok und Instagram (Newman 2022, S. 24). So konsumieren weltweit durchschnittlich 20 Prozent der 18-24-jährigen Nachrichten über TikTok (Newman 2023, S. 13).
Eine junge US-amerikanische Social-Media-Nutzerin teilte ihre Erfahrungen zu TikTok:
“It’s so addictive … and where it lacks in trustworthiness, it excels in presentation. It’s a news source I end up consuming because I’m also often scrolling TikTok for other reasons but the algorithm ends up providing news anyways.” (Newman 2022, S. 25)
Diese Aussage zeigt: Auch wenn Nutzer:innen nicht aktiv entscheiden, Nachrichten über soziale Medien zu konsumieren, können sie dort dennoch mit Desinformationen konfrontiert werden. Zwar hat die Forschung gezeigt, dass junge Menschen Falschinformationen häufig durchaus entlarven können (Vissenberg et al. 2023, S. 2), dennoch sind Diskurse von Desinformationen geprägt. Hinzu kommt, dass mit den sich schnell entwickelnden KI- und Deepfake-Technologien eine neue Qualität der Desinformation entsteht, die immer schwieriger als solche zu erkennen ist. Darüber hinaus verbreiten sich Desinformationen deutlich schneller als korrekte Informationen. Durch ihre polarisierenden Inhalte werden sie deutlich öfter angeklickt und weiterverbreitet als wahre Informationen. (Vosoughi et al. 2018, S. 3). Doch inwieweit haben diese Entwicklungen Auswirkungen auf die Stabilität von Demokratien?
Bürger:innen sind aktive Mitglieder des demokratischen Systems. Sie können Wahlentscheidungen beeinflussen und Debatten mitbestimmen. In dieser Mitverantwortung spiegelt sich die gesellschaftliche Relevanz kritischer Meinungsbildung. Die strategische Verbreitung von Desinformationen schafft jedoch falsches Wissen, auf dem die Bürger:innen politische Meinungen und Bedenken aufbauen. Wie bereits erwähnt, zielen Desinformationen oft darauf ab, Hoffnungen und Ängste auszulösen (Silverman 2015, S. 70), wodurch der Einfluss auf die Polarisierung von Meinungen noch größer ist. Dies kann in einem Boykott der gesellschaftlichen Debatte enden und somit die Grundsätze der Demokratie unterwandern (Pérez-Escolar et al. 2023, S. 77). Dass Desinformationen ein weit verbreitetes Medium politischer Einflussnahme sind, zeigt das Global Inventory of Organized Social Media Manipulation 2020. Es zeigt, dass bereits 2020 62 Regierungen und 61 politische Parteien weltweit diese Form der Propaganda einsetzen (Bradshaw et al. 2021, S. 8).
Ein fundiertes Wissen über die Zusammenhänge und Funktionsweisen digitaler Angebote sowie Kommunikationsfähigkeit, das heißt die Thematisierung möglicher Falschnachrichten im persönlichen Umfeld, können Teil einer Lösung sein, um dem Einfluss von Desinformation auf demokratische Prozesse entgegenzuwirken (Vissenberg et al. 2023, S. 2). Medienpädagogische Angebote für alle Altersgruppen und unterschiedliche Bildungsniveaus sind notwendig, um für die Problematik zu sensibilisieren und einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien und ihren Inhalten den Weg zu bahnen. Die Kampagne #UseTheNews der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ist eine Aufklärungskampagne, die genau das versucht. Sie richtet sich an Jugendliche, Lehrer:innen und Journalist:innen, will über die Risiken und Gefahren von Falsch- und Desinformationen auf Social-Media-Plattformen aufklären und wirbt für einen reflektierten Nachrichtenkonsum. Als Grundlage für die #UseTheNews-Kampagne hat die dpa das Jahr 2024 als „Jahr der Nachricht“ gewählt. Prominente und Influencer:innen machen im Rahmen der Kampagne auf die Gefahr von Desinformationen aufmerksam und zeigen, wie Informationen überprüft werden können. Außerdem werden Jugendliche eingeladen, mit Journalist:innen und Lokalredaktionen zu interagieren. Die Aktionen finden online und offline statt, so dass möglichst viele Menschen erreicht werden (Deutsche Presse-Agentur dpa o. D.).
Neutrale und gut recherchierte Informationen sind die Grundlage für einen konstruktiven Diskurs in einer Gesellschaft. Die Thematisierung von Desinformationen und der Macht von Künstlicher Intelligenz ist wichtig, um die Manipulation gesellschaftlicher Debatten und politischer Entscheidungen einzuschränken. Erst mit dem Bewusstsein über potenzielle Tricks können diese erkannt und enttarnt werden.
Literaturverzeichnis
Götz-Votteler, Katrin, und Simone Hespers. 2019. Alternative Wirklichkeiten?: Wie Fake News und Verschwörungstheorien funktionieren und warum sie Aktualität haben. Bielefeld: transcript.
Newman, Nic. 2022. Executive Summary and Key Findings. In Reuters Institute digital news report 2022, 9–31: Reuters Institute for the Study of Journalism.
Newman, Nic. 2023. Executive Summary and Key Findings. In Reuters Institute digital news report 2023, 9–29: Reuters Institute for the Study of Journalism.
Pérez-Escolar, Marta, Darren Lilleker, und Alejandro Tapia-Frade. 2023. A Systematic Literature Review of the Phenomenon of Disinformation and Misinformation. Media and Communication 11 (2): 76–87. doi: 10.17645/mac.v11i2.6453.
Schmid, Claudia Eva, Lennart Stock, und Svenja Walter. 2018. Der strategische Einsatz von Fake News zur Propaganda im Wahlkampf. In Fake News, Hashtags & Social Bots, Hrsg. Klaus Sachs-Hombach und Bernd Zywietz, 69–95. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Tandoc, Edson C., Zheng Wei Lim, und Richard Ling. 2018. Defining “Fake News”. Digital Journalism 6 (2): 137–153. doi: 10.1080/21670811.2017.1360143.
Vosoughi, Soroush, Deb Roy, und Sinan Aral. 2018. The spread of true and false news online. Science (New York, N.Y.) 359 (6380): 1146–1151. doi: 10.1126/science.aap9559.
Wardle, Claire. 2019. Information disorder: ‘The techniques we saw in 2016 have evolved’. https://firstdraftnews.org/articles/information-disorder-the-techniques-we-saw-in-2016-have-evolved/.
Wardle, Claire, und Hossein Derakhshan. 2017. Information disorder: Toward an interdisciplinary framework for research and policy making. Strasbourg: Council of Europe.
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