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#Wissenschaft #Wissenschaftskommunikation

Bartenwale im Klimawandel: Akustische Untersuchungen zum Artenvorkommen im Arktischen Ozean

Marlene Meister, Meeresbiologin und Stipendiatin bei Dissertation Plus

Wohl kaum eine Tiergruppe im Meer ist uns Menschen so präsent wie die Cetacea, die Waltiere. Aus spektakulären Unterwasserdokumentationen haben wir von Pottwalen erfahren, die Jagd auf Riesenkalmare machen; von Buckelwalen, die Blasennetze produzieren, um ihre Beute zusammenzutreiben; und von Delfinen, die verspielt hinter Booten durch die Wellen reiten. Mittlerweile wissen wir, dass Meeressäuger hochgradig intelligent und sozial sind, teilweise in Familienverbänden zusammenleben und je nach Art eigene Rufe produzieren. Wir sind uns der wichtigen Rolle der Wale im Ökosystem bewusst, zum Beispiel, dass sie Nährstoffe aus der Wassertiefe an die Oberfläche bringen oder Kohlenstoff speichern. Und auch ohne dieses Wissen geraten die meisten Menschen in Ehrfurcht, wenn sie ein gigantisches Blauwalskelett im Museum sehen oder Aufnahmen des wehmütigen und herzergreifenden Gesangs der Buckelwale hören.

Bei all der Faszination, die wir Menschen in der Regel für Wale empfinden, könnte man denken, dass sie mittlerweile gründlich erforscht sind und wir im Prinzip jedes Individuum an der Fluke – also der Schwanzflosse – erkennen könnten. Das ist aber bei weitem nicht so. Tatsächlich fehlen uns nach wie vor Antworten auf grundlegende Fragen zum Vorkommen und zum Verhalten verschiedener Arten. Welche Wanderrouten nehmen Finnwale? Haben sich Grönlandwale vom Walfang erholt? Wo überall finden wir Seiwale?

Dieses Unwissen hängt zum einen mit der Tatsache zusammen, dass Wale generell nicht leicht zu erforschen sind. Die Meeressäuger sind hochgradig mobil und verbringen einen Großteil der Zeit für uns unsichtbar unter Wasser. Visuelle Untersuchungen sind in der Regel recht aufwendig und kostspielig und zusätzlich auf Tageslicht und günstige Wetterbedingungen angewiesen. In den Polarmeeren werden Beobachtungen zur Winterzeit aufgrund von Dunkelheit und großflächiger Eisbedeckung quasi unmöglich. Zum anderen wurden diverse Walpopulationen bis zum Inkrafttreten des Walfang-Moratoriums im Jahr 1986 massiv bejagt und auf einen Bruchteil ihres ursprünglichen Bestandes reduziert. Bis heute haben sich viele Populationen nicht vollständig davon erholt und geringe Populationsdichten verringern die Wahrscheinlichkeiten von Walsichtungen.

Einen Lösungsansatz bietet hier eine andere Methode zur Erforschung von Meeressäugern: Passive Acoustic Monitoring, kurz PAM. Hierbei werden Wale nicht visuell, sondern akustisch anhand ihrer Rufe untersucht. Dafür werden Hydrophone („Unterwassermikrofone“) genutzt, die die Geräusche der Unterwasserwelt aufnehmen können. Um Langzeitaufnahmen (ca. ein bis drei Jahre) zu erhalten, werden die Hydrophone oft an Verankerungen angebracht, die von Schiffen aus im Wasser positioniert und später wieder geborgen werden. Die akustischen Aufnahmen werden anschließend nach den Rufen verschiedener Meeressäuger durchsucht, meist anhand von Rufsignaturen in Spektrogrammen. Das Praktische hierbei ist, dass einzelne Arten und Populationen individuelle Rufe erzeugen, sodass sie in den Aufnahmen wiedererkannt werden können und so ihr (akustisches) Vorkommen untersucht werden kann. Der Radius, in dem Tiere detektiert werden können, liegt dabei zwischen wenigen bis hin zu hunderten Kilometern, je nach Art (tiefe Rufe breiten sich weiter aus) und Umgebung (Schallausbreitung ist abhängig von verschiedenen Umweltfaktoren wie Temperatur, Druck und Salzgehalt). Der Vorteil der Methode ist dabei, dass sie unabhängig von Tageslicht und Wetter funktioniert und somit eine Chance bietet, Arten das ganze Jahr über auch in den Polargebieten zu untersuchen. Weiterhin ist sie nicht invasiv, relativ kostengünstig und geeignet, um Populationen mit geringer Dichte zu erfassen. Zu beachten ist allerdings, dass sie zwar die Anwesenheit einer Art erfasst, aber nur bedingt Aussagen über Anzahl an Individuen und physische Abwesenheit zulässt (denn die Tiere können natürlich auch einfach still sein).

Für meine Doktorarbeit nutze ich PAM, um das Vorkommen verschiedener Bartenwale im Arktischen Ozean zu untersuchen. Bartenwale sind eine Gruppe von Walen, die keine Zähne im Mund haben, sondern sogenannte Bartenplatten, mit denen sie das Wasser nach Krill und kleinen Fischen filtern. Zu ihnen gehören so bekannte Arten wie Blau-, Finn- oder Buckelwal. Viele Bartenwale unternehmen Langstreckenwanderungen: Grob gesagt findet man sie im Sommer eher in den Polargewässern, wo sie fressen; und im Winter eher in wärmeren Gewässern, wo sie ihre Kinder bekommen. Der atlantische Teil des Arktischen Ozeans wird regelmäßig von fünf Bartenwal-Arten besucht (Blau-, Finn-, Buckel-, Sei- und Zwergwale), wir bezeichnen sie als saisonal migrierende Arten. Weiterhin lebt im Arktischen Ozean eine Bartenwal-Art, die das ganze Jahr über dortbleibt (der Grönlandwal). Eine solche lediglich in einem begrenzten Gebiet vorkommende Art bezeichnen wir als endemisch.

Durch den Klimawandel ist der Arktische Ozean massiven Veränderungen unterworfen, die vermutlich starke Auswirkungen auf das Vorkommen von saisonal migrierenden und endemischen Bartenwal-Arten haben werden. Der kontinuierliche Rückgang des Meereises allein stellt eine starke Habitat-Veränderung dar. So gibt es Arten, wie den Grönlandwal, die an das Meereis angepasst sind und sich wahrscheinlich bevorzugt in dessen Nähe aufhalten, um Schutz vor räuberischen Walen, den Orcas, zu finden. Andere Arten wie Blau- und Finnwale hingegen scheinen das Meereis eher zu meiden. Zusätzlich sind Meereis- und Phytoplanktonvorkommen im Arktischen Ozean eng verknüpft. Wenn im Frühjahr das Meereis gemäß dem natürlichen Zyklus schmilzt, steigt die Verfügbarkeit von Sonnenlicht und Nährstoffen in den oberen Wasserschichten, was die Entstehung von Phytoplanktonblüten („Algenblüten“) begünstigt. Schmilzt nun das Meereis klimawandelbedingt schon früher, kommt es zu verfrühten Blüten. Als Folge verschiebt sich das zeitliche und räumliche Vorkommen von Arten, die höher in der Nahrungskette stehen und als Nahrung für Bartenwale dienen.

Studien haben gezeigt, dass Meereisrückgang und Veränderungen im Vorkommen von Krill und kleinen Fischen schon heutzutage Auswirkungen auf das Vorkommen von Bartenwalen haben. Für die Zukunft erwarten wir generelle Verschiebungen im Verbreitungsgebiet von Arten Richtung Norden (zumindest auf der Nordhalbkugel) sowie räumliche und zeitliche Veränderungen im Migrationsverhalten. Saisonal migrierende Arten werden vermutlich ihren Aufenthalt im Arktischen Ozean zeitlich ausdehnen oder sogar das ganze Jahr über hierbleiben. Als Folge wird sich das Vorkommen saisonal migrierender und endemischer Bartenwal-Arten im Arktischen Ozean zeitlich stärker überschneiden, was zu erhöhter Konkurrenz führen kann. Als „Gewinner“ werden hierbei die saisonal migrierenden Arten vermutet, die von einem vergrößerten Habitat und erhöhter Nahrungsverfügbarkeit profitieren. Der endemische Grönlandwal gilt als „Verlierer“, da er nur wenig Möglichkeiten hat, sein Habitat nordwärts zu erweitern und teilweise recht kleine Populationen aufweist.

Abgesehen von erhöhter interspezifischer Konkurrenz – Konkurrenz zwischen verschiedenen Arten – bringen klimawandelbedingte Veränderungen im Arktischen Ozean noch weitere Gefahren für Bartenwale mit sich. Durch die steigenden Temperaturen nimmt auch das Vorkommen des Orcas, des einzigen natürlichen Fressfeinds der Bartenwale, im Arktischen Ozean zu. Als Folge steigt der Fressdruck auf verschiedene Bartenwal-Arten. Zusätzlich wird durch den Meereisrückgang der Arktische Ozean weitaus zugänglicher für menschliche Aktivitäten. Immer mehr Schiffsverkehr, zum Beispiel entlang der Nordwest- oder Nordostpassage, bedeutet mehr Stress für Meeressäuger. Unterwasserlärm vor allem von Schiffsmotoren und seismischen Untersuchungen stört schon heute die Kommunikation von Bartenwalen. Zusätzliche Gefahren drohen durch vermehrte Schiffskollisionen, Lebensraumzerstörungen und Ölverschmutzungen.

Im Jahr 2022 stufte das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) „Auswirkungen des Klimawandels und extremen Wetters“ als eine der fünf wichtigsten Bedrohungen für Meeressäuger ein. Die Arktis gilt aufgrund anhaltender und erwarteter extremen Umweltveränderungen als Hotspot für die globale Erwärmung. Studien gehen davon aus, dass die Arktis sich fast viermal so schnell erwärmt wie der globale Durchschnitt und die Region schon in den 2030er Jahren im Sommer frei von Meereis sein könnte (um die Entwicklung des Meereises näher zu verfolgen, empfehle ich einen Blick auf diese Homepage. Daher sind arktische endemische und saisonal migrierende Bartenwale besonders durch klimawandelbedingte Habitat-Veränderungen betroffen und benötigen zuverlässige Schutzmaßnahmen, um einem Rückgang der Populationen entgegenzuwirken. Das könnten beispielsweise die Ausweisung von Meeresschutzgebieten (MPAs), strengere Fangquoten oder Richtlinien für seismische Untersuchungen und Schifffahrt sein.

Im Rahmen meiner Doktorarbeit untersuche ich das Vorkommen von saisonal migrierenden Arten im Arktischen Ozean, genauer gesagt in der Framstraße (einem Seeweg zwischen Grönland und Spitzbergen) anhand akustischer Daten, die an verschiedenen Positionen zwischen den Jahren 2012 und 2021 gesammelt wurden. Anschließend interpretiere ich die Ergebnisse in einem Klimawandelkontext. Die Ergebnisse können von Organisationen genutzt werden, die für das Management und den Schutz von Walen und arktischer Biodiversität verantwortlich sind, wie zum Beispiel der Internationalen Walfangkommission („IWC“) und dem Arktischen Rat. So werde ich zum Beispiel auf einer der nächsten zweijährigen Tagungen der IWC meine Studien zur Vorstellung einreichen. Ich hoffe, dass die Ergebnisse in zukünftige politische Entscheidungen miteinbezogen werden können und einen Beitrag zum Schutz der Bartenwale und des arktischen Ökosystems leisten.


Quellen:

  1. Moore SE, Reeves RR, Southall BL, Ragen TJ, Suydam RS, Clark CW. A new framework for assessing the effects of anthropogenic sound on marine mammals in a rapidly changing Arctic. BioScience. 2012;62(3):289-95.
  2. van Weelden C, Towers JR, Bosker T. Impacts of climate change on cetacean distribution, habitat and migration. Climate Change Ecology. 2021;1:100009.
  3. Moore SE, Haug T, Víkingsson GA, Stenson GB. Baleen whale ecology in arctic and subarctic seas in an era of rapid habitat alteration. Progress in Oceanography. 2019;176:102118.                                                                                   

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