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Abenteuer Auslandsaufenthalt
Susann Rothe, Alumna bei Dissertation Plus
Mein Forschungssemester in den USA war einer dieser Fälle, wo eine „Schnapsidee“ in Windeseile zum konkreten Plan wurde. Nachdem ich die Finanzierung geklärt hatte, legte ich direkt mit der Suche nach einer passenden Universität los, und auch da war der erste Anlauf ein Treffer: Ich hatte die Zusage für die University of Minnesota. Zum Glück war ich zwischen diesen beiden Meilensteinen noch im Urlaub, sodass ich auch realisieren konnte, was ich mir da gerade organisiere.
Rückblickend bin ich froh, dass alles so schnell ging – einerseits hatte ich Planungssicherheit, andererseits war alles fest und ich konnte bei aufkommenden Zweifeln nicht mehr zurück. Denn die Momente des Zweifelns kamen durchaus – bereut habe ich das Auslandssemester aber nie.
Minnesota liegt im mittleren Westen, es ist ein sogenannter „Fly Over“-State. Klartext: Viel los ist dort nicht. Dafür kann man sich das Leben dort gut leisten (im Vergleich zu Kalifornien zum Beispiel, wo sich das Zentrum der Tech-Firmen befindet). Und die University of Minnesota ist richtig gut, gerade in meinem Fachgebiet, der Mikroelektronik.
Für mich war es nicht der erste längere Auslandsaufenthalt, aber ich war vorher noch nie in den USA. Ich hatte Fotos von meinem AirBnB-Zimmer, wusste aber nicht, wie das Leben mit der Familie im Haus sich gestalten würde. Mit meinem Professor in Minneapolis konnte ich wenigstens vorab per Videokonferenz sprechen, hatte aber keine Vorstellung, wie mein Arbeitsalltag aussehen würde. Es war also ein Start in eine unbekannte Welt.
Ich bin mit drei Zielen im Kopf in mein Auslandssemester gestartet: Ich wollte in meiner Forschung vorankommen und mein Netzwerk erweitern, mir war es wichtig, den Alltag an der Uni und in der Familie zu erleben und zu verstehen, und ich wollte mehr über die USA als Land lernen.
Der erste Punkt setzte sich eigentlich fast von alleine um. Ich war in einer Mikroelektronik-Hochburg gelandet, hatte einen unheimlich engagierten Professor, der mich sehr intensiv betreute.
Interessanter war es, den Alltag in den USA, sowohl in der Gastfamilie als auch zu Hause, kennenzulernen. Der hielt den ein oder anderen Kulturschock bereit. Zum Beispiel war das fensterlose, relativ enge Großraumbüro für mich eine wirkliche Umstellung. Und auch an so banale Dinge wie die frostige Einstellung der Klimaanlage im Sommer waren für mich am Anfang gewöhnungsbedürftig. Stück für Stück konnte ich mich aber immer besser auf solche Dinge einstellen. Anderes viel mir schwerer, zum Beispiel der Umgang mit der doch ziemlich oberflächlichen Freundlichkeit im täglichen Miteinander. Es war herausfordernd, eine tiefere Bindung zu anderen Menschen aufzubauen – zum Glück hat mich aber besonders meine Gastfamilie sehr herzlich und ehrlich aufgenommen.
Während ich an der Uni in meiner Gruppe einen relativ ungezwungenen und liberalen Arbeitsalltag erlebte, konnte einerseits durch Protestaktionen auf dem Campus und andererseits über meine „Working Class“-Gastfamilie erleben, wie anders die Realität im Vergleich zu Deutschland ist.
An der Uni – und insbesondere an meiner Fakultät in der Mikroelektronik – sind fast vollständig ausländische Studierende beschäftigt, die beispielsweise aus Indien und China für ihren Master und die Promotion in die USA kommen (das ingenieurwissenschaftliche Nachwuchsproblem besteht also nicht nur in Deutschland …). Leider bietet das den perfekten Nährboden für Ausbeutung – ich habe von einer Gruppe erfahren, in der extreme Arbeitszeiten gefordert und bei Nichteinhaltung (oder bei zu wenig Leistung) Kündigungen ausgesprochen wurden. In der Regel bedeutet das die Ausreise. Nach dem Abschluss bekommen die Studierenden sehr leicht gut bezahlte Jobs, meist im Silicon Valley. Oft arbeiten sie schon im Studium den Sommer über in Kalifornien, um Praxiserfahrung zu sammeln. Die hohen Gehälter, die sie dafür bekommen, sprechen für den Willen der Firmen, die zukünftigen Arbeitskräfte an sich zu binden. Obwohl die Absolvent:innen dort also dringend gebraucht werden, müssen sie sich an der Lotterie um ein Arbeitsvisum beteiligen und stehen immer vor der Gefahr, zum Verlassen der USA gezwungen zu sein.
An der Uni habe ich auch an zwei Lehrveranstaltungen meines Professors teilgenommen. Diese haben mir nicht nur fachlich geholfen, sondern auch gezeigt, wie lernorientiert Lehre aussehen kann. Der Schwerpunkt lag weniger auf „Was kann ich prüfen?“ als auf „Wie kann ich meinen Studierenden möglichst viel beibringen?“. Entsprechend gab es zu den Lehrveranstaltungen zum Beispiel ein begleitendes Projekt, wo sich jede:r eine eigene Problemstellung ausdenken und im Laufe des Semesters lösen musste.
Durch meine Gastfamilie habe ich erlebt, wie anders Arbeiten in den USA funktioniert. Krank zu Hause bleiben geht nur im Notfall, ich habe eines meiner Gastgeschwister mit einer wirklich schlimmen Erkältung zur Arbeit schlurfen sehen. Urlaub gibt es auch kaum, geschweige denn Elternzeit. Wir hatten regelmäßig das sechs Monate alte Enkelkind zu Besuch, dass noch nicht in die Betreuung konnte, dessen Eltern aber beide voll gearbeitet haben. Auf der anderen Seite habe ich auch verstanden, dass das alles für mich zwar überhaupt nicht mit meinen Vorstellungen deckt, in den USA aber Normalität ist. Wenn ich dann von unserem deutschen System erzählt habe, wurde mir fast ausschließlich mit Unglauben begegnet – „das klingt zu schön, um wahr zu sein“.
Während mich die Arbeitssituation eher abgeschreckt hat, gab es auch viel, was mich im mittleren Westen sehr positiv beeindruckt hat. Ich kannte ja bereits das Klischee, dass in den USA alles „größer“ ist. Das hat aber vor allem den Grund, dass dort einfach jede Menge Platz ist! Die Bevölkerungsdichte ist in Deutschland fast zehnmal so hoch wie in Minnesota. Das habe ich wirklich genossen. Außerdem hat mich beeindruckt, wie positiv alle denken: Oft bekam ich Komplimente für meinen Rock oder die Schuhe auf der Straße, obwohl ich mit Kopfhörern unterwegs war. Dadurch habe ich übrigens auch die Bekanntschaft unzähliger Hunde gemacht, da Gassi-Gehen einer der häufigsten Gründe ist, zu Fuß unterwegs zu sein. „Spazierengehen“ war doch ein eher unbekanntes Konzept. Auch wenn Besuch ins Haus kam, fand dieser immer sofort ein paar Dinge, zu denen er meinen Gasteltern ein Kompliment machen konnte. Dieser Kontrast war für mich total eindrücklich und bereichernd – ich ertappe mich dabei, oft zuerst nach Kritikpunkten und Optimierungspotential zu suchen.
Um nicht nur Minnesota, sondern auch den Rest der USA ein bisschen kennenzulernen, habe ich drei Städte-Trips für jeweils eine knappe Woche unternommen. Bei der Entscheidung, wo ich überall hinmöchte, ist mir erstmal bewusst geworden, wie riesig die USA sind. Schlussendlich bin ich einmal in die Sonne nach Miami geflogen, habe in New York den Broadway unsicher gemacht und einen Museums-Marathon in Washington D.C. gestartet. Drei Städte, drei völlig unterschiedliche Erlebnisse. Ich bin ja von Natur aus reiselustig und immer von neuen Orten begeistert. Aber die Vielfalt, die man in den USA erleben kann, hat mich wirklich sehr beeindruckt.
Diese Reisen waren für mich die Kirsche auf der Sahne: Das Auslandssemester stellt einen riesen Erfolg dar. Und zwar sowohl fachlich als auch für mich persönlich. Am Ende bin ich mit gemischten Gefühlen wieder ins Flugzeug gestiegen. Einerseits kann ich mir nicht vorstellen, dauerhaft von zu Hause wegzugehen und habe die Tage gezählt, bis ich endlich meine Familie und Freund:innen wiedersehe. Andererseits viel es mir sehr schwer, meine Kolleg:innen und meine Gastfamilie zu verlassen. Mit vielen bin ich natürlich nach wie vor in Kontakt – aber der Ozean-Abstand ist doch spürbar.
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