(Zweisprachige) Bücher ihrer Wahl – Aufbau einer Schüler:innen-orientierten mobilen Klassenbibliothek für die 5. und 6. Klasse
David Parduhn, Lehrer an der Schule Grumbrechtstraße
Seit Corona ist vieles anders. Was sich nicht verändert hat: Wir arbeiten weiterhin Tag für Tag daran, unsere Schüler/-innen bestmöglich zu erreichen – im übertragenen Sinne wie auch buchstäblich. Aufgrund der andauernden Schulschließung ist dies in den letzten Wochen zur wohl größten Herausforderung geworden. Mit digitalen Lernangeboten erreichen wir zwar bereits viele Schüler/-innen, aber bei Weitem nicht alle: Entweder fehlen die digitalen Endgeräte, das W-LAN, die digitalen Kompetenzen, die Selbstmotivation oder auch ein geeignetes Wohnumfeld.
Eines von vielen wichtigen Themen im regulären Schulalltag ist die Sprachförderung. Denn viele unserer Schulkinder verfügen über eine geringe Lesekompetenz, haben Schwierigkeiten beim Textverständnis sowie große Probleme beim Reflektieren, Bewerten oder Anwenden von Texten. Da viele der Kinder zu Hause nur unregelmäßig bis gar kein Deutsch sprechen, war die Schule der einzige Ort, an welchem sie ihr Deutsch üben und verbessern konnten. Und da in Deutschland die Abhängigkeit der Leseleistung vom sozialen Hintergrund noch immer sehr hoch ist, haben wir hier als Schule einen besonders wichtigen Auftrag. Denn Lesen eröffnet Menschen unendlich viele Möglichkeiten der Partizipation: nicht nur in der Schule oder später im Beruf, sondern auch politisch sowie im Alltag. Außerdem ist Lesen einer korrekten Rechtschreibung und Grammatik sehr zuträglich.
Normalerweise erhalten wir mehrmals im Jahr individualisierte Führungen in den Hamburger Bücherhallen. Besonders die Möglichkeit, sich dort selbst Bücher aussuchen zu dürfen – je nach Niveau und Interessen – wurde immer sehr gut angenommen.
Da wir die Sprachförderung in Zeiten von Corona unbedingt fortsetzen wollten, dies aber digital nur eingeschränkt machbar ist, haben wir Möglichkeiten gesucht, motivierende Lese-Anlässe zu schaffen. Außerdem wollten wir die Zweisprachigkeit vieler Schüler/-innen nutzen. Denn so können die jeweiligen Muttersprachen unserer Kinder (Türkisch, Polnisch, Arabisch, Englisch, Portugiesisch, Kurdisch, Griechisch, Serbisch und Albanisch) im Unterricht fruchtbar gemacht und didaktisch genutzt werden. Je nach Niveau gibt es wunderbare zweisprachige Bücher, wie zum Beispiel „Wer hat mein Eis gegessen?“, „Der Kleine Prinz“ oder auch „Erste türkische Lesestücke“.
Der größte Vorteil bilingualer Literatur ist, insbesondere während Corona, dass die Kinder die Bücher gemeinsam mit Verwandten lesen oder gar vorlesen können. Für die Kinder, deren Muttersprache Deutsch ist bzw. in deren Muttersprache es leider noch keine bilinguale Literatur gibt, empfehlen wir eine deutsch-englische, deutsch-französische oder deutsch-spanische Ausgabe, da diese Sprachen an der Schule unterrichtet werden. Neben der fachlichen Relevanz können wir so ihr Interesse am Fremdsprachenlernen wecken.
Mit den Mitteln aus dem „Was zählt!“-Fonds für Lehre und Lernen der Claussen-Simon-Stiftung können wir nun 40 Schüler/-innen mit Büchern ihrer Wahl versorgen.
Die Abfrage der gewünschten Sprachen ist bereits erfolgt: per Messenger, Mail, Brief oder Postkarte. Außerdem haben die Schüler/-innen bereits einige inspirierende Empfehlungen von uns erhalten – vorsortiert nach Niveaustufen und Sprachen. Da es uns wichtig ist, dass unsere Kinder überhaupt lesen, können sie alternativ auch andere Bücher vorschlagen, welche sie selbstständig recherchiert haben, wie einsprachige Belletristik, Sachbücher, altersgerechte Graphic Novels oder auch Comics mit Text.
Je nach Niveau des Buches sowie individuellem Förderbedarf erhalten die Kinder dazu unterschiedliche Arbeitsaufträge. Während der Lesezeit können sie uns zum Beispiel am Telefon vorlesen und ihre Meinung schildern – und wir geben eine Rückmeldung. Letztlich sollen alle Bücher bis zu den Sommerferien vorgestellt werden: sei es als Präsentation, Podcast, Video oder Fotoreihe – da richten wir uns nach den individuellen Möglichkeiten und Vorlieben der Kinder. Dieses Vorgehen knüpft an die Vorerfahrungen der meisten Kinder an und bietet somit Struktur und Orientierung, was gerade zu Zeiten von Corona besonders wichtig ist. Da die Kinder nah beieinander wohnen, können die Bücher im Zuge der Präsentationen auch weiterempfohlen und in den Briefkasten eines anderen Kindes geworfen werden.
In Abstimmung mit den Fachlehrerinnen sowie der Interkulturellen Koordinatorin werden die Bücher auch im Anschluss an die Präsentationen für fächerübergreifende Projekte genutzt: Die Kinder können die Geschichte beispielsweise kreativ fortschreiben (Deutsch) oder sie künstlerisch umsetzen (Kunst, Musik und Theater). Außerdem können sie zu Regionen (Gesellschaft) oder Tieren der Geschichte (Natur und Technik) weiterforschen.
Mit Hilfe der „Was zählt!“-Projektmittel entsteht zur Zeit also eine gut ausgestattete und vor allem Schüler/-innen-orientierte mobile Klassenbibliothek, welche auch zukünftige Lerngruppen nach Corona nutzen werden. So unterstützen wir unsere Kinder nicht nur beim Entwickeln ihrer Sprachkompetenzen – sondern haben ihnen bereits jetzt schon eine Freude bereitet.
Artikel kommentieren
Kommentare sind nach einer redaktionellen Prüfung öffentlich sichtbar.