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Von Vogelspaziergang bis Brainstorming-Runde: Die stART.up-Residenz in Herbsthausen

Foto  eines Mannes mit dunklen Jacket und weißen Hemd.

Tristan Linder, stART.up Stipendiat Jahrgang 2025/26

Es ist eigentlich logisch: Wenn 16 junge Künstler:innen unterschiedlichster Disziplinen in einem Stipendienprogramm alle paar Wochen aufeinandertreffen, dann hat man einander viel mehr zu sagen, als in die Kaffeepausen der Workshops und Seminare passt. Mit der Aussicht auf gemeinsames Denken, Planen, Erfahrungsteilen und Kochen freute ich mich deshalb tierisch auf unsere Gruppenresidenz im Wendland.

Spielort der Handlung der Tage war das Gut Herbsthausen, über das uns Gastgeber Camillo kurz vor Einbruch der Dunkelheit am ersten Abend führte – inklusive Taschenlampen-Erkundung des gespenstisch-verlassenen Sägewerks, das bis zu seiner Aufgabe im Jahr 2012 das Kernstück des über 150 Jahre alten industriellen Hofs bildete. Camillos Familie, inklusive stART.up-Alumna Chenxi Zhong, hat dem Grundstück mit dem Errichten von Wohn- und Kulturorten in den letzten Jahren neues Leben eingehaucht; Camillos inspirierende Berichte von abgeschlossenen und geplanten Bauvorhaben geben Mut, eigene Projekte anzupacken.

Am ersten gemeinsamen Morgen brachte uns Elena mit einer von ihr geleiteten Yoga-Session ins Schwitzen – spätestens dann war der Stress des Alltags aus dem Körper und ich bereit für das verringerte Tempo des Landlebens. Über den Tag verteilt, hatten wir die Gelegenheit eine Performance sowie eine Videoinstallation und eine Ausstellung auf dem Herbsthausen-Gelände anzuschauen, in denen sich eingeladene Künstler:innen mit dem Gelände in Verbindung setzten und damit Kunst in den ländlichen Raum trugen. Zwischen Essens-Orga und Ankommen der letzten Nachzügler:innen staunte ich aber auch über unsere eigene Kreativität – während in der einen Ecke des Wohnzimmers Sängerin Yvonne Tipps zur richtigen Atmung gab, wurde sich parallel am Kochtopf über Theaterformen unterhalten, während Max zwischendurch einer Person nach der anderen das von ihm erfundene Tanzspiel Jakazi beibrachte (das im Laufe des Aufenthalts virenartig die ganze Gruppe ansteckte).

Sonntags führte uns Dominic in den Untersuchungsgegenstand seiner kompositorischen Praxis ein: Vögel. Auf einem mehrstündigen Vogelspaziergang gab es nicht nur viel ornithologisches Fachwissen, sondern auch Doms unverwechselbare Vogelgesang-Impressionen zu hören, während wir durch die Wald- und Wiesenwallungen des Wendlands wandelten. Mit ausgelüfteten Gehirnen gingen wir dann zur Organisation einer gemeinsamen Studienfahrt zur Biennale di Venezia über, für die wir unter Federführung von Madeleine und Malaika ein vollgepacktes Programm zusammenstellten. Beim anschließenden Lagerfeuer, wo bis tief in die Nacht Quizspiele gespielt und über Kunst und die Welt diskutiert wurde, wurde mir recht schnell auch innerlich ganz warm, bei dem Gefühl, Teil dieser tollen Gruppe interessanter und herzlicher Menschen zu sein. Für kaltes Schauergefühl sorgte dagegen eine nächtliche Performance von Alina, in der mitten im Wald eine historische Mordserie aus der Region aufgearbeitet wurde.

Mein Highlight dieser Tage werden allerdings die gemeinsamen Pitch- bzw. Brainstorming-Runden bleiben, die täglich Teil der Tagesordnung waren: Dort konnten alle, die wollten, ein geplantes Projekt vorstellen, sei es Inszenierungskonzept, Festivalidee, Diskussionsreihe oder Kostümausstellung. Im Gegenzug dafür gab es dann die geballte Kreativ-Power unserer diversen Gruppe als inspirierenden Input. Und das war beeindruckend: Wo sonst hat man die Expertisen einer Comic-Zeichnerin, einer Cembalistin, einer Hip Hop Tänzerin und und und… beisammen? Selten hatte ich so viel Spaß am gemeinsamen Ideen-Jonglieren wie in diesen Runden.

Am letzten Abend versammelten wir uns im Gruppenraum, der ehemals ein Pferdestall war, zur Lesung aus Mias neuem Buch „Saloon – Das ist Familiensache“ (Große persönliche Empfehlung für das Buch an dieser Stelle, es macht wirklich auf allen Ebenen Freude). Dann passierte etwas Tolles: Obwohl wir mit dem Programm eigentlich am Ende waren, und wir von den vollgepackten Tagen alle ganz schön müde, legten eine nach der anderen von uns mit Präsentationen der eigenen künstlerischen Praxis nach. Kurzfilme und Tanz-Shows wurden gezeigt und die jeweils individuellen Arbeitsweisen diskutiert – und wir hätten noch bis zum Morgengrauen über Illustrationstechniken oder Geräuscherzeugung mit Gummibändern gesprochen, wenn uns nicht irgendwann doch die Augen zugefallen wären. So ging es am Dienstag zurück nach Hamburg, erschöpft und glücklich, mit ganz viel Futter für Kopf und Herz, und einer Riesenportion Vorfreude auf die Zukunft mit dieser Gruppe Menschen.

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