„… und es war wieder okay, etwas zu verpassen!“ – [nofomo] events ermöglichen kollektives „Digital Detoxing“
Niklas Nieschlag, Sänger, Schlagwerker und stART.up-Alumnus
Juni 2021
Die Weiterförderung nach dem ersten Jahr im stART.up-Jahrgang 2020/21 der Claussen-Simon-Stiftung ist bewilligt, es wird also ernst: Nun soll also eine Hamburger Event-Reihe ohne Smartphones entstehen. Mitten in einer Zeit, in der ZOOM-Konferenzen gesellschaftstauglich geworden sind, Superspreading verhindert werden soll und der Ausgang der Impfdebatte über den nächsten Veranstaltungswinter zu bestimmen scheint, wird der Grundstein für [nofomo] events gelegt.
Doch was ist [nofomo] überhaupt?
Der Begriff „FOMO“ ist ein Akronym für „fear of missing out“ und lässt sich mit der „Angst, etwas zu verpassen“ übersetzen. Dieser Ausdruck taucht immer häufiger als meist ironische Bemerkung auf, wenn es darum geht zu erklären, warum man „dann doch dabei war“.
Menschen organisieren sich schon immer in Gruppen, können jedoch nur temporär Teil davon sein. FOMO ist also kein neues Phänomen. Mit der zunehmenden Digitalisierung wurde jedoch der Echtzeit-Vergleich mit anderen direkt vom Smartphone aus ermöglicht und dadurch präsenter. Denen, die dieser Gegenüberstellung kurz entfliehen wollen, möchte ich mit einem [nofomo]-Konzert die Chance zur kollektiven digitalen Entschlackung bieten:
Das Publikum verzichtet freiwillig auf die Handy-Nutzung und schaltet die Geräte entweder vor der Location aus oder lässt sie gleich ganz zu Hause. Die Angst, etwas zu verpassen, wird reduziert, und die Bereitschaft, zu tanzen und mitzusingen, korrespondiert unmittelbar mit dem musikalischen Ansatz: Energiegeladener Hiphop von einer neunköpfigen Live-Band sorgt für Anspruch im Geist und Beanspruchung der Beinmuskulatur. Niemand landet mit einem falsch gesungenen Ton oder einem Tanzschritt gegen den Beat in der Instagram-Story oder auf TikTok.
Eine Location für die erste Veranstaltung im Frühjahr 2022 – das UWE Reeperbahn – war gefunden, das Promotion-Konzept wurde entwickelt: Hier ist der Spagat zwischen Instagram und Offline-Events besonders heikel. Denn trotz guter Vernetzung in der Hamburger Veranstaltungsbranche und Musiklandschaft wäre Mundpropaganda nicht ausreichend, um Menschen zu erreichen, die sich kurzzeitig aus den mahlenden Mühlen von Social Media befreien möchten. Das bedeutet: eben diesen Kanal bespielen, der dazu animieren soll, weniger online und mehr im Moment zu sein: @nofomo.events
Im Frühjahr 2022 starteten die Proben unter strengen Corona-Maßnahmen und der Ahnung, dass es in Anbetracht der Pandemie immer noch „zu früh“ für eine Veranstaltung mit Körperkontakt sein könnte. Kurzerhand wurde [nofomo] vol.1 auf Ende April verschoben, um die winterliche Corona-Welle auslaufen zu lassen.
Am 20. April 2022 versammelten sich dann also über 200 Menschen (ausverkauft!) in einem kleinen Club auf der Reeperbahn, und es kamen Fragen auf:
1. „Wie schalte ich mein iPhone eigentlich aus? Das ist höchstens aus, wenn der Akku alle ist!“
2. „Wie kann ich meinen Impfnachweis ohne Handy erbringen?“
3. „Ich hätte nie ohne Google Maps hierher gefunden!“
4. „Da ist ja meine Fahrkarte drauf und mein Ticket!“
Die Lösung war denkbar einfach. Mit der Jacke oder dem Rucksack wurde das Handy an der Garderobe abgegeben, um sich nach dem Einlass in den Club wie in eine „Blackbox“ zu begeben: Es gibt keinen Videomitschnitt, keine Tonaufnahmen oder digitale Fotos. Drei Polaroid-Kameras werden benutzt, immer jedoch mit der Prämisse, dass man als Fotografiert:e das Bild sofort sehen und handeln kann. Für den Social-Media-Auftritt von @nofomo.events ist das natürlich eine große Herausforderung. Hier werden vor allem Aussagen von Konzertbesucher:innen genutzt, um das Erlebte mit Worten statt mit Bildern zu beschreiben.
Das überwältigende Feedback im Anschluss ließ sich größtenteils im Punkt der „einzigartigen Stimmung“ vereinen. Liegt es an zwei gut geprobten Sets an Live-Musik? Sind die Musiker:innen auf der Bühne außergewöhnlich gut? Spielt uns die Corona-Pause in die Karten? Ist die Promotion gut gelungen? Hatten wir einfach Glück?
Vermutlich alles ein bisschen. Und doch lässt sich die simple Idee von [nofomo] nur als ein ineinander gewobenes Gesamtkonzept verstehen. Dazu gehört auch, dass über 200 Menschen gleichzeitig mutig sind und ihre Mobiltelefone ausschalten.
[nofomo] vol.2
7. Juli 2022, 20:00 Uhr im UWE Reeperbahn am Spielbudenplatz
Tickets gibt es hier.
Artikel kommentieren
Kommentare sind nach einer redaktionellen Prüfung öffentlich sichtbar.