Tagträumen - ein Beitrag des Poetry Slams "Poetisch engagiert"
Isabel Leonie Josam
Poetisch engagiert: Poetry Slam für Klimaschutz und Solidarität war eine Kooperationsveranstaltung des AKTIVOLI-Landesnetzwerks Hamburg e.V. und des Projekts „Engagementförderung durch universitäre Lehre“ der Universität Hamburg sowie der Infostelle Klimagerechtigkeit der Nordkirche im Zentrum für Mission und Ökumene, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und Code for Hamburg. Gesucht wurden poetische Beiträge, die gute Ideen liefern für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, für Solidarität und Vielfalt. Im Dezember 2019 fand ein Poetry Slam statt, und mittlerweile sind alle eingereichten Beiträge in einem E-Booklet zum Nachlesen versammelt worden.
Die Claussen-Simon-Stiftung fördert das Projekt „Engagementförderung durch universitäre Lehre (EngföLe) 4.0“ für mehrere Jahre. Dieses innovative Lehrvorhaben ist als interdisziplinäres Programm mit vier gesellschaftlich relevanten Themenfeldern im Studium Generale der Universität Hamburg verankert worden.
Wir haben hier bereits einen Poetry Slam von Isabel Josam veröffentlicht,, heute folgt der zweite Text von ihr, den sie für „Poetisch engagiert“ beigetragen hat. Sie studiert in Hamburg Medizin und engagiert sich in vielen politischen Bereichen. Schon seit ihrer Kindheit begleitet sie das Schreiben und schenkt ihr Freude und Kreativität.
Ein neuer Morgen kriecht herauf
und mit der Dunkelheit schwindet auch der Schlaf,
doch ich merk es kaum.
Nur langsam kehre ich zurück aus meinem Traum.
Ich weiß nicht mehr, was darin geschah,
aber die perfekte Welt war zum Greifen nah
und mir bleibt noch das wohlige Gefühl.
Eh zu schön, um wahr zu sein.
Während sich viele noch in ihren Betten wälzen,
fällt mir ein, dass an den Polen die Gletscher schmelzen.
Der kleine Eisbär sitzt verloren auf seiner Scholle.
Lars ist einsam und fällt aus Furcht aus seiner Rolle.
Die Kinderarbeit hat schon begonnen und endet nie,
wie auch die Fabriken endlos rauchen
und zahllose eingesperrte Tiere in ihren Käfigen fauchen.
Aber ich kann sie nicht hören.
Ich kann auch die Verzweiflung nicht fühlen
oder die kleinen, wunden Hände in meine nehmen.
In meinem Kopf ist kein Platz für so viel Leid.
Ich sehe zwar Handlungsbedarf weit und breit,
aber kann man je so viel ändern?
Sollte man?
Irgendwo wird gerade ein Schwein bei vollem Bewusstsein aufgeschlitzt
und das Blut fließt auf den Boden wie bei dem Mädchen,
das sich seit ihrer Kindheit ritzt.
Wasser spült Fliesen wieder rein und das Mittelmeer spült die Ertrunkenen fort
und wird in meinen Gedanken zu einem weit entfernten Ort.
Viele waren zum Sterben noch nicht bereit,
aber um Todesangst zu begreifen, sind mir selbst die Grenzen meines Kontinents zu
weit.
Die Nachrichten haben mich abgestumpft,
das Böse hat mal wieder aufgetrumpft.
Wie kann man an einen Gott glauben, der so eine Welt erstellt?
Puh, das war jetzt aber unbequem.
Vermutlich sollte der Anstand mich hemmen,
die Dinge so klar zu benennen,
aber ich konnte die Last nicht alleine stemmen.
Vielleicht ist der Mensch ja nicht für Empathie gemacht,
denn wäre es so gedacht,
könnte uns doch nichts mehr auf den Stühlen halten,
wir würden losrennen, bis es kein Unrecht mehr gibt.
Das Smartphone auch mal ausschalten
und zuhören, bis es nichts mehr zu erzählen gibt.
Aber wir haben genug mit uns selbst zu tun
und damit, uns vom Alltag auszuruhen.
So bangen weit entfernte Menschen um ihre Zukunft
und die Natur stirbt ihren leisen Tod,
und ich kann all das nicht sehen.
Ich bleibe lieber noch im Bett und verberge mein Gesicht.
Ich fülle meine Augen mit Bildern einer fiktiven Welt.
Die habe ich mir selbst zusammengestellt.
Ich gebe mich einer Vorstellung hin.
In der steht mir das Wasser schon bis zum Kinn,
aber jemand reicht mir eine helfende Hand.
In meinem Traum gebe ich mir selbst den Raum,
den ich zum Leben brauche.
Während ich in meine Scheinwelt eintauche,
atme ich reine Luft, die mich nicht krank macht,
und höre keine sexistischen Sprüche, weil niemand mehr lacht.
Aber das war auch nur ausgedacht.
Ich schlage meine Augen auf,
aber blicke mich nicht um.
Ich bin noch nicht bereit für die Welt um mich herum.
Ich will noch ein wenig länger in meinen Gedanken verweilen,
ohne sie gleich mit anderen zu teilen.
Jetzt bin ich kurz überwältigt von all dem Schlimmen auf der Welt,
als hätte ein Teufel sie sich erstellt.
Es gibt so viele Baustellen, dass ich nicht weiß,
wo ich anfangen soll, und so bleibe ich gelähmt
und lass es einfach vorüberziehen.
„Fake it, ´til you make it!“ sagten sie und
früher oder später leg‘ ich wahrscheinlich wieder los
und nehm‘ es Stück für Stück,
lebe Tag für Tag und fühl mich wieder stark.
Aber in diesem Moment, erdrückt von der Realität,
habe ich vergessen, wie es geht.
Vielleicht ist ja auch schon zu spät.
Dann ist es mir genug.
Ich will meine eigene Trübsal nicht mehr verstehen.
Ich habe keine Lust mehr auf meine eigenen Gedanken,
die sich im Hamsterrad drehen.
So stehe ich endlich auf und gehe in die ach so schlimme Welt hinaus.
Ich schüttele die Dunkelheit ab und tue so als wäre ich neu geboren,
als hätte ich den Glauben noch nicht verloren.
Der Morgen ist doch die Chance, um unbeschrieben rauszugehen
und sich selbst um 180 Grad zu drehen.
Heute will ich nicht an die Nacht denken,
sondern das Beste in allem sehen
und mit offenem Herzen im Unterholz stehen.
Unversehens finde ich eine helfende Hand,
aber nicht von einem weißen Ritter in wehendem Gewand,
sondern von einem ganz normalen Menschen.
Wir öffnen uns einander und legen ein paar Hüllen ab.
Ich gestehe, dass ich eigentlich nur im Dunkeln tapp‘
und sehe, dass ich nicht die Einzige bin, die das Streichholz verloren hat.
Die warme Hand leuchtet mir zwar nicht den Weg,
aber gibt mir Halt.
Und die geteilte Furcht wird weniger als halb so klein.
Wir laden uns gegenseitig in unsere Träume ein,
und der Schein beginnt in unserer Schnittmenge real zu sein.
Ich sehe wieder die Schönheit dieser Welt,
denn letztendlich wurde sie von niemandem erstellt,
sondern besteht aus vielen kleinen lebenden Wundern.
Jedes Lebewesen, jeder Strauch und Baum
ist vielfältiger als in meinem Traum.
Die wahre geht über die Scheinwelt weit hinaus
und Mutter Natur gehen niemals die Ideen aus.
Ich springe über die Klippe und tauche ins kühle Nass
oder laufe durch den Wald und denk mir einfach: Krass!
So viel Vieles an einem kleinen Fleck.
Das Astloch dient noch als Versteck
und das Blatt als Mikrokosmos.
Wer kann bei so viel Zusammenhalt noch an das Böse glauben?
Zwischen Sonnenaufgängen, die mir den Atem rauben,
und den warmen Händen liegt meine Hoffnung.
Ich sehe sie nicht in meinen, sondern unseren Augen.
So viele kann man nicht gleichzeitig auslaugen.
Ich will mich fallen lassen und auch fangen,
wenn du fällst.
Ich gehe mit dir den Umweg,
wenn du dir selbst den Weg verstellst.
Ich laufe im Dunkeln, bis ich ein Streichholz finde
und brenne den Weg für uns frei.
Ab und zu schaffe ich mir noch eigene, kleine Räume
und ziehe mich zurück in meine Träume.
Vielleicht wird das irgendwann nicht mehr nötig sein,
aber bis dahin lade ich euch zu mir ein,
und gemeinsam tanken wir Kraft,
lachen über das Leben
und teilen die Hände, die uns Hoffnung geben.
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