Zum Inhalt springen

#Bildung #Kultur

"Sieht gar nicht aus wie ein Fisch"

Karin Kraemer, Illustratorin, und Si-Ying Fung, Bildende Künstlerin, stART.up-Alumnae

Freitags um 16 Uhr im Kulturladen Hamm trifft sich seit etwas über einem Jahr der Klub Zeichenstift, um zusammen zu zeichnen und neue gestalterische Techniken auszuprobieren. Wir, das sind Si-Ying Fung und Karin Kraemer, ehemalige stART.up Stipendiatinnen, mit einer Gruppe von rund zehn Kindern im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren, die im Stadtteil Hamm wohnen. Mittlerweile hat sich eine feste Gruppe gefunden, die regelmäßig zu unserem offenen Zeichen- und Bastelangebot kommt. Einige der Kinder treffen schon früher ein, denn ihre Schule liegt gleich um die Ecke und endet bereits um 15 Uhr. Gemeinsam bereiten wir dann den Raum vor, kochen Tee und stellen Tassen für alle hin: Wie war dein Tag, deine Woche, und wie geht es dir? Was machen wir heute?

Gemeinsam möchten wir gestalten. In der Zusammenarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Studierenden gleichermaßen begegnen uns bestimmte Themen sehr häufig, die wir auch von unserer eigenen künstlerischen Praxis und dem Austausch mit Kolleg:innen kennen. Wann entsteht Lust beim Machen, wann entsteht Druck und Frust? Wie gehe ich damit um? Wie erschaffe ich mir Freiräume, und wann fällt das besonders schwer? 

Klub Zeichenstift setzt sich zusammen aus Kindern der Nachbarschaft. Die Bewerbung erfolgt über das Programmheft und die Internetseite des Kulturladens Hamm, unseren Instagram-Kanal und Mund-zu-Mund-Propaganda. Klub Zeichenstift ist seit einem Jahr voll besetzt. Zurzeit gibt es aber die Möglichkeit, sich auf eine Warteliste setzen zu lassen. 

Im Klub Zeichenstift probieren wir viele künstlerische Techniken aus, wir zeichnen nicht nur, sondern basteln und werken auch; wir machen, worauf wir Lust haben: 
Wir probieren, worauf wir Lust haben: Vom Austesten und Herstellen verschiedener Schleimsorten (Schleim 1 ist fest und flüssig zugleich: Zauberei? Schleim 2 hingegen deutlich glibberiger und glitzernd dazu: Glamrock!), über Kerzen färben und dekorieren, Drucktechniken ausprobieren und natürlich zeichnen (groß, klein, draußen mit Kreide, zusammen an einem Bild) ist alles dabei.
Auch der Frust gehört dazu, weil etwas nicht klappt, weil einem erst einmal nichts einfällt, weil man heute gar keinen Bock hat und die Woche schlecht lief. Dann aber kann Freude folgen, weil ein Bild so lustig ist, weil etwas doch gelungen ist, weil man manchmal mit jedem Strich ein bisschen Ärger wegkritzeln konnte und Überraschendes entstanden ist. Neue Fragen stellen sich: Warum hat der alte Fred ein Körbchen Erdbeeren im Weltraum dabei? Wie viele Möwen passen um eine Sonne herum, wie zeichne ich denn nun eine popelnde Melone, und wie schaffe ich es, dass sich mein Kreisel dreht? Streit, wer zuerst die das Blau benutzen kann oder den letzten Bleistift. Keine Lust, aufzuräumen.

Schon sehr junge Kinder sehen sich bei ihrer Tätigkeit mit einer hohen Erwartungshaltung konfrontiert. Der Umgang mit verschiedenen Materialien und die Ungeduld beim Machen kann zu Frust führen, das Sich-Vergleichen mit den anderen Kindern ebenso; manchmal klappt etwas manchmal nicht, das Ergebnis ist nicht „schön“ geworden, und überhaupt: Was soll das eigentlich bedeuten?

Ist nicht viel wichtiger, was wir uns alles ausdenken und auf das Papier bringen können? Muss ein Fisch wie ein Fisch aussehen, um als solcher erkannt zu werden, oder spielen auch andere Faktoren eine Rolle? Was haben sich die anderen Kinder ausgedacht, welche Ideen bekomme ich dadurch? Wir hoffen, durch unser Angebot einen Weg zu ebnen, der wegführt von Produktions- und Leistungsdruck, hin zu einer Haltung, wo vielmehr Neugierde und die Freude am Machen im Vordergrund stehen. Wo die Kinder unterschiedlich alt sind, aus verschiedenen Kontexten kommen, verschiedene Geschichten mitbringen und wir alle etwas über einander erfahren können. Es ist schön zu sehen, wenn die jungen Zeichner:innen am Ende des Kurses stolz auf ihre Arbeiten sind, sich über etwas freuen oder wundern oder sie auch einfach trocken kommentieren.

Bei den Kindern im Alter der Zielgruppe von Klub Zeichenstift wird uns bewusst, dass der Zugang zu kultureller Teilhabe sehr unterschiedlich ist – wegen mangelnder Kapazitäten der Familien, sozialen Hürden, fehlendem Angeboten in der Umgebung oder einem geringen Bewusstsein dafür. Wie können wir uns in einer Gesellschaft mit so ungleichen Voraussetzungen und Möglichkeiten einander annähern und kennenlernen? 

Unser Vorschlag ist klar: sich treffen, gemeinsam Tee trinken, Schleim machen, zeichnen, Konflikte austragen, einander Geschichten erzählen und dabei ganz viel herausfinden.


Interessierte Kinder können Zeichen- und Bastelbögen auf der Internetseite des Kulturladens Hamm herunterladen und ausdrucken. Diese Bögen wurden mithilfe der Unterstützung des Hilfsfonds "Kultur hält zusammen" der Dorit & Alexander Otto-Stiftung und der Hamburgischen Kulturstiftung im zweiten Corona-Lockdown von uns bereitgestellt. Durch eine zusätzliche Projektförderung im Rahmen des Claussen-Simon-Fonds für Kunst & Kultur konnte die Teilnahme am Klub Zeichenstift ab November 2021 kostenlos angeboten werden.

Artikel kommentieren

Kommentare sind nach einer redaktionellen Prüfung öffentlich sichtbar.

Zurück zur Übersicht

Verwandte Artikel