Perfekter Aktionismus - ein Beitrag des Poetry Slams "Poetisch engagiert"
Isabel Leonie Josam
Poetisch engagiert: Poetry Slam für Klimaschutz und Solidarität war eine Kooperationsveranstaltung des AKTIVOLI-Landesnetzwerks Hamburg e.V. und des Projekts „Engagementförderung durch universitäre Lehre“ der Universität Hamburg sowie der Infostelle Klimagerechtigkeit der Nordkirche im Zentrum für Mission und Ökumene, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und Code for Hamburg. Gesucht wurden poetische Beiträge, die gute Ideen liefern für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, für Solidarität und Vielfalt. Im Dezember fand ein Poetry Slam statt, und nun sind alle eingereichten Beiträge in einem E-Booklet zum Nachlesen versammelt worden.
Die Claussen-Simon-Stiftung fördert das Projekt „Engagementförderung durch universitäre Lehre (EngföLe) 4.0“ für mehrere Jahre. Dieses innovative Lehrvorhaben ist als interdisziplinäres Programm mit vier gesellschaftlich relevanten Themenfeldern im Studium Generale der Universität Hamburg verankert worden.
Vor einigen Tagen haben wir bereits einen Poetry Slam von Birger Ingensand aus diesem E-Booklet im Blog präsentiert. Heute veröffentlichen wir einen Text von Isabel Leonie Josam, den sie für „Poetisch engagiert“ beigetragen hat. Sie studiert in Hamburg Medizin und engagiert sich in vielen politischen Bereichen. Schon seit ihrer Kindheit begleitet sie das Schreiben und schenkt ihr Freude und Kreativität.
Ich schlage die Zeitung auf,
bzw. öffne die App auf dem Tablet
und scrolle runter, scrolle rauf.
Von den Artikeln klingt keiner wirklich nett.
Da ist sie wieder, die Sorge ums Klima,
dann noch die Ausbeutung von Arbeitern durch die Fifa.
„Arbeiter*innen“, korrigiere ich still.
Aber wenn selbst meine Lieblingszeitung nicht gendern will,
habe ich es vielleicht auch übertrieben.
Während ich gleichzeitig drei Artikel überfliege und zusätzlich ein schlechtes Gewissen kriege,
weil der Tee, den ich noch so nebenbei trinke, nicht fairtrade ist, sondern
einfach nur gut schmeckt,
werde ich durch meinen Schrittzähler erschreckt.
Noch 3769 Schritte bis zum Tagesziel.
1851 Schritte tragen mich zum Supermarkt, in dem ich mich zwischen
der konventionellen Gurke ohne Plastik und der Bio-Gurke in Plastik entscheiden soll.
Na toll.
Dann an der Kasse lausche ich dem Gespräch der Wartenden.
„Schlimme Sache, mit dem Klima.“
„Ja, ja und erst die Ausbeutung von Arbeitern durch die Fifa.“
„Da haben unsere Flüchtlinge es echt richtig gut.“
„Was man auch nicht alles tut.“
„Einer arbeitet jetzt bei uns im Garten.“
„Hmm, da würde ich nicht zu viel erwarten.“
„Die wissen einfach nicht, was harte Arbeit ist.“
„Ich bin ja kein Rassist,
aber es ist ja normal, dass ich nicht ganz Afrika hier haben will.“
„Rassistin“, korrigiere ich still.
Während ich die Einkäufe einpacke,
Treuepunkte einsacke
und mit der Kassiererin übers Wetter schnacke –
(Vorsicht: in Zeiten der globalen Erwärmung ist auch dies kein unverfängliches Thema mehr.)
Jedenfalls - währenddessen vibriert mein Smartphone und erinnert mich.
Der nächste Termin wartet schon,
und im Café verfehle ich prompt den passenden Ton,
aber ich trinke entkoffeinierten Soja-Latte
und der schmeckt halt einfach kacke.
Vorwurfsvoller Blick.
Mit etwas Geschick
trifft der auch nicht nur mich,
denn ich unreflektierter Schurke
habe ja auch noch meine Plastik-Bio-Gurke.
„Also ich mach jetzt ja Zero Waste.“
„So ganz ohne Verpackungen?“ frage ich dumm.
Sie nickt überheblich, ich lächle stumm.
„Wusstest du, dass Lena bald nach Indien reist?“
sage ich in der Hoffnung, dass unser Gespräch, dann um etwas anderes kreist.
Doch es hat keinen Sinn.
„Wie kommt sie denn dahin?“
„Äh, mit dem Flugzeug wahrscheinlich.“
Schon ist mir meine Unüberlegtheit peinlich.
„Na, dann will sie wohl keine Enkel mehr in die Welt setzen,
aber wenn wir weiterhin so durch die Gegend hetzen,
hat uns der Stress eh vorher erwischt.“
Auch meine Hoffnung auf Erholung erlischt.
„Sie macht da so ein Yoga-Ayurveda-Meditation-Retreat.
Ich glaube, das hat nichts mit Stress zu tun.“
Endlich lassen wir das Thema ruh‘n.
Später habe ich dann auch mein Schrittziel erreicht
und es folgt der Kochabend mit der WG.
Obwohl ich ab und zu schon auf Käse und Zucker steh,
kochen wir natürlich vegan, glutenfrei, raw, Paleo,
nur zwischen 10 und 18 Uhr, ohne Weizen, laktosefrei und Bio.
Kurz: wir machen Salat.
Ich versuche mich erneut in einem Spagat,
rede über Auslandssemester und Karrierepläne,
während ich mich für meine Faulheit schäme.
Man lebt ja nur einmal und muss was draus machen,
und es gibt da draußen so viele tolle Sachen,
aber ich werde das eh nie alles schaffen
und will mich auch nicht dazu aufraffen.
Ich will ein bisschen gerne leben,
mir selbst auch mal Zeit geben,
mein Glück genießen und dankbar sein,
denn auch wenn ich nicht perfekt bin, ist mein Gewissen rein.
Doch mein Mitbewohner setzt wieder an:
„Die Probleme mit dem Klima, Leute, da müssen wir jetzt echt mal ran!“
Da halt ich es nicht mehr aus und es bricht aus mir heraus:
„Es ist wirklich eine schlimme Sache mit dem Klima.
Und ja, böse Fifa.
Die Unterbringung der Geflüchteten ist ein Problem,
und vielleicht mach ich es mir mit der Plastik-Bio-Gurke
aus dem Discounter auch zu bequem.
Ich weiß, dass Billigfliegen nicht die Zukunft ist
und finde es toll, dass Yoga dir zeigt, wer du eigentlich bist.
Ich glaube daran, dass jede und jeder essen kann, was er/sie will.
(Egal, ob mit oder ohne Sternchen, ergänze ich still.)
Aber warum können wir uns nicht für einander freuen?
Wieso die Erfolge relativieren?
Und weshalb sind wir skeptisch gegenüber dem Neuen,
anstatt mal Wohlwollen zu kultivieren?
Lass uns doch diejenigen, die sich bemühen, loben.
Denn sich zu bemühen ist ja besser als nichts.
Kommen wir mal runter von da oben,
weil wir es wahrscheinlich nicht wirklich besser wissen.
Dafür ist die Welt zu groß, sind die Konzerne zu gerissen.
Aber jeder Einsatz ist ein Sieg,
nur mit Zusammenhalt stehen wir über dem Krieg.
Ich bin dafür, dass alle mal was ausprobieren.
Es gibt nichts zu verlieren.
Ohne gleich perfekt zu sein,
zählt doch jede Tat, egal ob groß oder klein.
Niemand wird je alles richtig machen,
wir können ruhig mal über Fehler lachen.
Was jetzt richtig ist, ist morgen falsch und umgekehrt.
Trotzdem ist dein Leben nie verkehrt.
Es gibt keinen, der alle Fakten kennt,
aber wenn wir alle unser Bestes geben,
vielleicht auch nur 50 Prozent,
und gemeinsam nach einer besseren Zukunft streben,
dann können wir wirklich was bewegen.“
Ich weiß, dass ich noch lang auf dieser Erde leben will
und dabei bleibe ich jetzt nicht mehr still.
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