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#Community #Kultur #Transdisziplinarität

GEMEINSCHAFT – Literarischer Essay zur gemeinsamen Residency des stART.up-Jahrgangs 2021/22

Von Simoné Goldschmidt-Lechner, Autorin, Übersetzerin und stART.up-Stipendiatin

Vom 12. bis 19. März 2022 fand in der Historischen Wassermühle in Schloen in Mecklenburg-Vorpommern die künstlerische Residenz „be_tween“ des stART.up-Jahrgangs 2021/22 der Claussen-Simon-Stiftung statt. Im Zentrum standen Workshops, die die Stipendiat:innen selbst durchführten und die für intensiven interdisziplinären Austausch sorgten, sowie die Planung des Rampen-Festivals im Sommer. Gemeinsam gingen sie der Frage nach, welche kollaborativen und interdisziplinären Anordnungen aus und zwischen künstlerischen Praxen im gemeinsamen Ausprobieren entstehen. Ich dokumentierte die gemeinsame Zeit mit tagebuchartigen Notizen – aus den Aufzeichnungen resultierte schließlich dieser literarische Essay.

1
Ich bin heute in Kunst stehen geblieben – keine bewusste Entscheidung – Der Kopf dröhnt ich
höre von Weitem Musik (H., C., D., sie alle rufen mich wohl).
Nach 3 Uhr nachts oder nach 12 soll man weder
Mails noch Nachrichten verfassen 
Ohropax und 
abstrakte Stücke werden
Canapés für die nächste Woche. Es soll 
so sein. 
H. schreibt und bietet an, dass wir gemeinsam fahren. 
Es gilt, dies anzunehmen – nur so kann 
Community 
entstehen. 
Community, von lat. communis oder communitates,
auf Englisch ursprünglich definiert als community, society, fellowship, friendly intercourse; courtesy, condescension, affability,
zu Deutsch Gemeinschaft, 
[1] Gruppe von Personen, die sich einander verbunden fühlen
[2] Organisation, die sich zu bestimmten Zwecken gebildet hat
Die Anfahrt nun also am 13. für mich. Auch das ist
in Ordnung. 
Morgen werden einige mit dem Auto fahren. Ich habe R. um Aufnahmen gebeten. 
In der Ferne Raben, sie fliegen über die mecklenburgische Landschaft, sind Boten, halten dort Ausschau nach uns und für uns. 
Es wird nicht mein erstes Mal in Waren sein (auch M.s nicht)
in Mecklenburg 
durch den Bärenwald (wieder).
Entscheidungen werden gemeinschaftlich gefällt. 
Mir macht Angst, an fremden Orten verharrend 
nicht wegkommen zu können. 
Mein wachsames Auge fehlt außerdem Zuhause, der Zustand meines Körpers wird öffentlich. 
Währenddessen aus Kyjiw nichts Neues 
sich ergibt
dasselbe Lied von Zerstörung in neuer Gewandung und näher an uns 
schwieriger zu ignorieren als die Schwarzen und braunen Körper 
die in Meeren ertrunken nicht dasselbe Mitleid verdienen 
glaubt man zumindest denen, die in der Öffentlichkeit sprechen
so sind
die einen öffentlichen Körper Objekte, die anderen Subjekte 
das Trauma trifft sie gleichermaßen. 
Bei allem die Frage: Was kann Kunst dazu beitragen? 
Heute in Kunst hängen geblieben mit öffentlichem Körper stellt sich diese Frage uns allen.
Die nächsten Tage ziehen wir uns gemeinsam aus und an, 
hören 
Vorgänge 
warts and all. 
Zu Zeiten Hildegard von Bingens waren Migränen immerhin Visionen.
Aus dieser Syntax in den Nachklängen derselben lässt sich vielleicht auch Bedeutung herausschälen.
Ich lasse die Ich-Perspektive hinter mir.


S. hat getanzt, es ist eine Weile her, spielt sich ein in neue fremde Rollen. Wir sind uns einig, dass es im Haus spukt. 
C. spielt Salsa. 
L. erklärt uns, wie sie mit ihrem Mann Hubert das Haus erbaut hat.
Wir kommen an. R. hat Pizza gemacht. 
Wir wachsen zusammen. Wir berühren uns. 

3
Nachdem A. und C. Arepas vorbereitet haben (sie sind sehr gut) und Y. ein wunderbares Mittagessen zubereitet hat, sprechen wir gemeinsam über das Rampenfestival. Wir sind voller Übermut, machen Notizen, schreiben uns ein und an, kommen langsam weiter, voran.
Y. und S. beginnen mit dem Abendessen, ehe M. dazustößt.
Tanz begleitet uns auch heute. R. und C. begleiten den Tanz.


Bei diesem Tagebuch ist die Perspektive sehr auf Einzelpersonen zentriert, das werden wir die nächsten Tage durch Interviews und A.s Zeichentagebuch auflösen. 
Heute zunächst also die Präsentation zu Elisarion von Kupffer nach klassisch deutschem Frühstück, Mittagessen von H., danach affektives, von Emotionen geleitetes Zeichnen mit Y. Wir lernen durch Striche, Flächen und Chi Verbindungen herzustellen. Auch mit D., der nun da ist.
Co-Working. 
Und später beim Abendessen: Wir.
Am Abend Film und abschließende Analyse.

5
Erneute gemeinsame Besprechung zum Rampenfestival und zu den Großen Bleichen. A. fehlt uns allen, ist für die Besprechung wenigstens digital dabei. Später auch noch.
E. stößt hinzu, mit Kind. Am Nachmittag Vortrag von H. zu Neuer Musik. Das Experiment im Sound durchdringt uns, schafft Zugänge. 
Gemeinsames Arbeiten. 
P. ist endlich da. Pasta mit Glitzer und Love.
R.s Geburtstag. Ein improvisierter Tanzkurs, Disco-Fox vs. Salsa vs. Voguing. Find your light. D. tanzt Vergangenes voraus. Die Nacht wird lang. Uneingeschränkt schön. Statt un-: heimlich. 

6
J. und M. kommen, und E (2). Wir wandern gemeinsam an den See. Das Schilf malt Wellenförmiges auf Wasseroberflächen, spiegelt sich dort. M. und J. sprechen mit uns über unsere Pläne. Es hat etwas Form angenommen in den letzten Tagen, etwas ist entstanden, ist im Entstehen, wird entstehen. 
R. bringt uns neue Posen bei. 
Später sagen wir uns gegenseitig Zukünfte voraus. Teilen Energie. 

7
Wir werden Alchimist:innen in M.s Cyanotypie-Workshop, zaubern das, was fehlt, auf blauen Untergrund, lernen die Geschichte der Fotografie genauso wie ihre Zärtlichkeit kennen (es ist nicht alles Automaton) –
Auf gemeinsame Gespräche über neue Projekte folgt C.s Vortrag zu Musikinterventionen in öffentlichen Räumen und soziale Integration. Über Linien und Empathie verbinden wir uns, und bei A.s Zeichenworkshop zeichnen wir ein gemeinsames Bild, folgen den Linien der anderen, und P. klappt es von weit oben auf, sodass die Seiten raschelnd fallen. 

8
Gemeinschaft
[1] Gruppe von Personen, die sich einander verbunden fühlen
[2] Organisation, die sich zu bestimmten Zwecken gebildet hat
[3] stART.up-Jahrgang 2020/21 der Claussen-Simon-Stiftung

An der stART.up-Residenz nahmen teil: Daniel Bucurescu, Yi-Jou Chuang, Hector Docx, Elena Greta Falcini, Simoné Goldschmidt-Lechner, Maik Gräf, Petra Jeroma, Lulu MacDonald, Andrés Muñoz Claros, René Reith, Carlos Andrés Rico, Meera Theunert und Eike Weinreich. Almuth Anders konnte kurzfristig leider nicht dabei sein. Dr. Jenny Svensson, Bereichsleitung Kunst & Kultur, und Maria Eplinius, Bereichsleitung Dialog & Perspektive bei der Claussen-Simon-Stiftung, besuchten die Gruppe an einem Tag und freuten sich, die Gruppe in einem anderen Setting zu erleben.

Foto: Maik Gräf

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