#Corona: Ein Urlaub, der in Erinnerung bleiben wird. Ein Protokoll.
Dr. Lukas Hoffmann, Bereichsleiter Wissenschaft & Hochschule
9. März 2020: Es ist so weit, auf geht’s für zwei Wochen auf die Kapverden. Viel Sonne, ein bisschen Strand, zwischendurch wandern und „digital detox“. Das war der Plan. Es kam alles anders.
Als ich mit meiner Freundin Anfang März in den Urlaub aufbrach, war Corona schon in Deutschland angekommen. Man wusch sich öfter die Hände und achtete auf ein wenig mehr Abstand. Aber „social distancing“ und #stayathome? Das war zu diesem Zeitpunkt noch völlig unvorstellbar. Auf den Kapverden selbst gab es noch keine bestätigten Fälle. Als wir losflogen, saßen wir in einer vollen Maschine und dachten uns nicht viel dabei. Atemmasken? Sahen wir so gut wie keine.
Zuerst war das Virus ganz weit weg
Auf den Inseln angekommen, entdeckten wir vereinzelt Plakate mit Hinweisen zu "Novo Corona". Es wurde dazu aufgerufen, auf Hygiene zu achten. Ansonsten war alles ganz entspannt – wenn wir nicht gerade die Nachrichten aus der Heimat checkten, war das Virus ganz weit weg. So konnten wir die ersten Tage noch genießen, schwammen im Atlantik, ließen uns die Sonne auf den winterfahlen Bauch scheinen und besuchten den afrikanischen Fischmarkt. Doch das Urlaubsvergnügen währte nicht lange.
Bald erreichten uns immer mehr besorgte Nachrichten von Familie, Freunden und Kollegen aus Deutschland. Als in Europa die ersten Grenzen geschlossen wurden, kontaktierten wir unsere Airline, ob wir unseren Rückflug vom 23. März umbuchen können. Keine Reaktion. Der Flug wurde weiter mit voraussichtlicher Check-in-Zeit angezeigt. Und dann ging alles auf einmal ganz schnell: Beim Frühstück in einer wunderschönen Eco-Lodge im Schatten des Vulkans auf der Wanderinsel Sao Antao eröffnete uns die Gastgeberin, sie sei von der kapverdischen Regierung informiert worden, dass allen Touristen empfohlen werde, umgehend auf eine der beiden Inseln Sal oder Boa Vista zu reisen. Dort befinden sich die beiden größten Flughäfen.
Plötzlich alle Flüge gestrichen, keine Online-Buchungen mehr möglich
Diese Inseln lagen eigentlich gar nicht auf unserer Reiseroute, der spätere Inlandsflug auf die ursprüngliche Insel Santiago zur Abreise war bereits gebucht. Da zeigte ein weiterer Check auf der Webseite unserer Airline TAP: alle Flüge auf und von den Kapverden waren plötzlich ausnahmslos gestrichen. Ohne persönliche Info. Flüge anderer Anbieter waren online schon nicht mehr buchbar. Also schlossen wir uns in der Eco-Lodge einem Paar aus unserer baden-württembergischen Heimat an, buchten Taxi, Fähre und Inlandsflug neu und reisten direkt nach Sal.
Die Badeinsel beherbergt zahllose Ressorts. TUI beherrscht hier den Markt und war auch der letzte Anbieter, der noch Flüge nach Europa anbot. Am Flughafen erwartete uns das große Chaos: Hunderte Touristen, darunter Familien mit kleinen Kindern, drängten sich vor dem kleinen Flughafenbüro. Vertreter von den Fluggesellschaften selbst waren nicht zu sehen, die Büros geschlossen. Nur wenige Flüge wurden auf der Abflugtafel angezeigt. In allen möglichen Sprachen machten Gerüchte über letzte freie Plätze, endgültiges Flugverbot, Ausgangssperren und mögliche Rückholflüge der europäischen Regierungen zu horrenden Preisen die Runde.
Am Flughafen fühlte es sich schnell an wie im Dorfladen
Uns blieb damit nichts anderes übrig, als uns vor Ort eine Unterkunft zu suchen und auf den nächsten Tag zu hoffen. Gemeinsam mit dem etwas älteren Paar aus Schwaben teilten wir uns ein Airbnb-Apartment für vier Personen – und erlebten wieder eine kleine Wendung in diesem abenteuerlichen Urlaub: Trotz Stress und Unsicherheit verbrachten wir einen wirklich schönen Abend auf der Terrasse, kochten Spaghetti Aglio Olio, tranken kapverdischen Wein und unterhielten uns über Gott und die Welt. Gleichzeitig tauschten wir uns über WhatsApp-Gruppen und Email-Verteiler mit anderen Gestrandeten aus verschiedenen Ländern aus, teilten Informationen, sprachen uns Mut zu.
Es bildete sich so etwas wie eine kleine „Schicksalsgemeinschaft“. Die tägliche Rückkehr zum Flughafen fühlte sich bald wie der Einkauf im Dorfladen an – man grüßte sich mit Namen auf Englisch, Französisch oder Deutsch und fragte nach dem jeweiligen Befinden, gefolgt vom üblichen Schulterzucken: „Wird schon irgendwie!“
Dann kam Corona auch auf den Kapverden an
Währenddessen wurden die ersten Corona-Fälle auf den Kapverden bekannt, Strände und erste Hotels wurden geschlossen. Das alles passierte in atemberaubenden Tempo. Auch die Nachrichten aus Deutschland machten uns zunehmend Sorgen. Wir wollten nur noch nach Hause, irgendwie. Doch TUI ließ zunächst ausschließlich TUI-Pauschaltouristen an Bord – und von denen gab es viele!
Während wir schon frühmorgens an den Check-in-Schaltern ausharrten, kamen regelmäßig eine Stunde vor Abflug riesige Busse vorgefahren; deren blaues Logo mit dem roten Pfeil wird uns wohl noch eine Weile verfolgen… Damit schwanden auch jedes Mal unsere Chancen. Die verbliebenen Restplätze für Reisende, die ursprünglich bei einem anderen Anbieter gebucht hatten, wurden zu täglich steigenden Preisen jeweils ganz kurz vor Take-off vergeben, verständlicherweise mit Priorität für ältere Menschen, Familien mit Kindern oder medizinisches Fachpersonal. Kurzzeitig schafften wir es auf die TUI-Passagierliste nach Birmingham (Hauptsache Europa, irgendwie schaffen wir es nach Deutschland!). In letzter Sekunde wurden wir wieder zurückgepfiffen: Es wurden doch nur Briten mitgenommen (Brexit, da war doch was…).
Ein erster Hoffnungsschimmer…
An Tag 4 am Flughafen machte sich Resignation breit. Uns wurde mitgeteilt, dass wir an diesem Sonntag (unser ursprünglicher Abreisetag) ohne TUI-Ticket keine Chance hätten, da auch nur drei bereits regulär überbuchte Flieger kämen. Also gönnten wir uns einen Tag ohne Schlange stehen , wir hatten ohnehin schon länger durchgehalten als die meisten. Unsere schwäbischen Schicksalsgenossen schafften es an diesem Tag mit eigentlich erst später gültigen TUIfly-Tickets in einen Flieger nach München.
Also suchten wir uns abends wieder neue „Mitbewohner“, dieses Mal ein junges Pärchen aus Berlin. Gemeinsam mit einem Surfer-Paar aus Österreich aus dem Apartment nebenan wurde erneut gemeinsam gekocht, die Österreicher gaben nebenbei via Skype ihrer Heimatzeitung ein Interview zur Situation der Gestrandeten im Ausland. Auch dieser Abend wird uns sicher in Erinnerung bleiben!
Und dann erreichte uns über Umwege die Nachricht, dass auch unsere Airline TAP auf Druck der portugiesischen Regierung doch noch einen Rückholflieger losschicken würde. Über einen Link haben wir uns sofort registriert, noch ohne zu wissen, wann der Flug stattfinden sollte.
Eine Erfahrung fürs Leben
Tag 5 verbrachten wir dennoch am Flughafen, vielleicht gibt es ja doch noch Restplätze zu ergattern… Das war nicht der Fall. Dafür kam endlich die erste Email der Airline selbst: Mittwoch Nacht, 1.25 Uhr, sollte es endlich so weit sein. TAP fliegt von Sal nach Lissabon. Von dort müsse jeder selbst schauen. Wieder gab es wilde Gerüchte, die Airline nehme vorrangig portugiesische Staatsbürger mit, es gäbe bestimmt nicht genügend Plätze für alle, wir werden nur nach Lissabon geflogen und müssen dort in Quarantäne. Egal, Hauptsache raus!
Dienstag, 24. März, Mitternacht: ENDLICH vorne am Check-in-Schalter. Dann der nächste Schock: „Only one of you is on the list, only the Miss.” Wir hatten uns beide online registriert, bekommen aber nur einen Sitzplatz?! Ich blieb im Abfertigungsbereich in der Hoffnung, dass der Schalterbeamte meinen Namen doch noch findet. Meine Freundin hetzte derweil zum TAP-Büro, wo sich mittlerweile ein Mitarbeiter eingefunden hatte. Dort sammelten sich weitere Betroffene, die auch nicht auf der Liste standen. Lange und bange 45 Minuten später die Auflösung: Ich hatte Tage zuvor den Refund-Link auf der TAP-Webseite angeklickt – ohne diesen jedoch zu bestätigen. Trotzdem waren alle erst einmal zurückgestellt worden, die denselben Fehler gemacht hatten.
Am Ende hielten wir schließlich alle unsere Boardingkarten in den Händen, es gab Jubelschreie und Umarmungen am Gate. Von da an lief alles überraschend reibungslos. In Lissabon wurden wir direkt auf einen Flieger nach Frankfurt gebucht, von dort nahmen wir die Bahn und erreichten, unendlich erschöpft, knapp 26 Stunden nach unserer Abreise endlich Hamburg.
Große Freude unter den "Gestrandeten" - der Rückholflieger ist da!
Die wahre Zeit der Unsicherheit hat damit wohl erst begonnen. Aber eine wichtige Erfahrung nehmen wir aus diesem denkwürdigen Urlaub mit: In der Not zeigen sich die meisten Menschen solidarisch. Und das ist eine echte Bereicherung.
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