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#Bildungsgerechtigkeit

Bildungsbenachteiligungen entgegenwirken, wie gehen wir das an?

Mieke Johannsen, Dissertation Plus-Stipendiatin und Tutorin bei B-You!

Die Schülerschaft an Hamburger Schulen ist vielfältiger als jemals zuvor. Schulen stehen vor der Herausforderung, ein Lernumfeld zu gestalten, in dem alle Schüler:innen unabhängig von Herkunft und Lebenssituation erfolgreich lernen können. In den Ergebnissen der letzten PISA-Studie von 2023 wird deutlich, dass es nach wie vor bestimmte Gruppen von Schüler:innen gibt, die in unserem Bildungssystem benachteiligt sind, etwa solche mit einem niedrigen sozioökonomischen Hintergrund.

Ich persönlich hatte das große Glück, meine Schullaufbahn mehr oder weniger ohne Probleme durchlaufen zu können. Mir ist aber durchaus bewusst, dass dies nicht allen so geht und vielen im Laufe ihrer Schulzeit immer wieder neue Hürden und Herausforderungen begegnen. Daher möchte ich im Rahmen meiner Promotion am Arbeitsbereich für Pädagogische Psychologische und Persönlichkeitsentwicklung der Universität Hamburg versuchen, einen Teil dazu beizutragen, bestehende Bildungsbenachteiligungen besser zu verstehen. 

Zunächst einmal zur Theorie: Ich sehe ein besseres Verständnis der Faktoren, die ein erfolgreiches Lernen ermöglichen, als einen ersten wichtigen Schritt in Richtung einer größeren Bildungsgerechtigkeit. Deswegen nehme ich zum einen die individuellen Ressourcen, die Lernende mitbringen, und zum anderen Eigenschaften des Schulkontextes, die sich auf verschiedene Schüler:innen und deren Lernerfolg auswirken, in den Blick. 
Auf Seite der Lernenden lege ich meinen Fokus auf zwei Eigenschaften: Aus der motivationspsychologischen Forschung wissen wir, dass die Überzeugungen über die eigenen Fähigkeiten, das sogenannte akademische Selbstkonzept, eine wichtige Ressource darstellt. Schüler:innen, die glauben, ein gutes Verständnis für mathematische Probleme zu haben, zeigen auch die besseren Leistungen in Mathe. Aus der Persönlichkeitspsychologie wissen wir zudem, dass Unterschiede in der Persönlichkeit mit Unterschieden in den schulischen Leistungen einhergehen. Dabei versteht die Psychologie unter Persönlichkeit relativ stabile Unterschiede im Denken, Fühlen und Handeln von Menschen, die meist anhand von fünf voneinander verschiedenen Dimensionen beschrieben werden. So bekommen beispielsweise Schüler:innen, die sich anstrengen, ihre Hausaufgaben erledigen und verlässlich, also gewissenhafter sind, ebenfalls bessere Noten. Beide individuellen Merkmale – das akademische Selbstkonzept und die Persönlichkeit – nehme ich in meiner Arbeit als potenzielle Ressourcen genauer in den Blick.
Ich gehe allerdings davon aus, dass die Ressourcen einer Person nicht unabhängig voneinander wirken und untersuche deshalb auch ihr Zusammenspiel. Außerdem können individuelle Ressourcen sich nur dann entfalten, wenn die Bedingungen des Schulumfeldes dies auch zulassen. Daher berücksichtige ich zudem Unterschiede im Schulumfeld.

Und jetzt zur Praxis. Konkret stelle ich mir bei der Betrachtung des beschriebenen Zusammenspiels Fragen wie: Sind die individuellen Eigenschaften an verschiedenen Schulformen gleichermaßen relevant für die Schulleistung? Beeinflussen sich das akademische Selbstkonzept und die Persönlichkeit von Schüler:innen gegenseitig? Sind für Mädchen und Jungen dieselben Eigenschaften förderlich für den Schulerfolg? Welche Merkmale des Schulumfeldes stehen im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsentwicklung von Schüler:innen?

Aber wie kann ich diese Fragen beantworten? In der Psychologie werden oft Fragebögen genutzt, um die Dinge, die uns interessieren, zu messen. Und weil es in meiner Promotion um Schüler:innen geht, habe ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und unseren studentischen Hilfskräften um die 900 Schüler:innen an verschiedenen Schulen in Hamburg besucht und mit Hilfe solcher Fragenbögen befragt. Dabei haben wir diese Fragebögen allerdings nicht alle ausgedruckt, sondern konnten für unsere Befragungen eine App nutzen. Damit konnten die Fragen in den teilnehmenden Klassen nach kurzer Unterstützung bei der Installation der Studien-App bequem auf dem eigenen Smartphone beantwortet werden. Um nicht nur eine kurze Momentaufnahme zu erhalten, bearbeiteten die teilnehmenden Schüler:innen nicht nur einen Fragebogen, sondern füllten über die 10. Klasse und den Beginn der 11. Klasse hinweg insgesamt viermal die verschiedenen Fragen aus. Nun habe ich einen großen Datensatz, in dem sich die Sichtweise von 900 Schüler:innen auf ihre Schule und ihren Schulalltag wiederfinden lässt. Im nächsten Schritt muss ich mit Hilfe statistischer Analysen auf die Suche nach den Antworten zu meinen Fragen gehen.

Dabei hat mich das Promotionsstipendium Dissertation Plus der Claussen-Simon-Stiftung in der Vorbereitung meiner Befragung auf mehreren Ebenen unterstützt: Neben der finanziellen und ideellen Förderung, die ich im Rahmen des Stipendiums erhalte, bildet die Stiftung für mich auch eine wichtige Brücke in die Praxis. Als Tutorin im B-You!-Programm arbeite ich mit Jugendlichen aus Familien ohne Hochschulerfahrung zusammen, die sich gerade auf dem Weg zum Abitur befinden. So erhalte ich im Austausch mit diesen beeindruckenden jungen Menschen direkte Einblicke in die Herausforderungen ihres Schulalltages. Diese Einblicke konnte ich wiederum in die Gestaltung meines Forschungsvorhaben einbeziehen, was eine enorme Bereicherung für meinen Wissenschaftsalltag darstellt. Für diese Möglichkeiten, die mir die Claussen-Simon-Stiftung bietet, bin ich sehr dankbar und freue mich, sowohl in meiner Funktion als Tutorin als auch mit meiner Forschung einen kleinen Teil zu mehr Bildungsgerechtigkeit beizutragen.

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