Resilienz und Umgang mit Angst in Krisenzeiten
Christine Lauck, Referentin für Veranstaltungsmanagement, im Gespräch mit Marie Wilke, Psychologin
Christine Lauck, Referentin für Veranstaltungsmanagement in der Claussen-Simon-Stiftung, im Gespräch mit der Hamburger Psychologin Marie Wilke, die sich mit psychischen Belastungen sowie deren Veränderungs- und Transformationspotenzialen beschäftigt.
Die Auswirkungen des Coronavirus stellen unsere Welt und damit bekannte Strukturen, Regeln und Orientierungen auf den Kopf. Was macht das mit uns?
Wir erleben eine individuelle und kollektive Verunsicherung. Strukturen geben uns Menschen ein Gefühl von Sicherheit, Kontrolle und Vorhersehbarkeit. Zugleich können diese, im Übermaß, auch als einengend erlebt werden. Tendenziell sehnen sich die meisten von uns aber nach gewissen Orientierungen – diese geben uns Halt und entlasten uns sowie unsere emotionalen und mentalen Kapazitäten. Diese eingeübten Routinen und verinnerlichten Strukturen sind nun aufgelöst. So belastet die Situation die meisten von uns – wenn auch in unterschiedlichem Maß und selbst, wenn wir uns nicht so stark von den Veränderungen getroffen fühlen.
Wie können wir nun mit diesem mangelnden Sicherheitsempfinden umgehen?
Neben dieser empfundenen Unsicherheit, die durch das Verändern der Strukturen ausgelöst wird, entsteht auch ein ,,Möglichkeitsraum''. Nicht wenige Menschen wundern sich in diesen Tagen, was plötzlich möglich ist und in welchem Tempo es umgesetzt wird – ob im privaten, beruflichen oder gesellschaftlichen Bereich. Wir sind dazu gezwungen, unumstößliche Strukturen zu verändern. Das macht etwas mit uns – mental, emotional – denn wir erleben, dass Grenzen, die vorher da waren, in gewisser Weise aufgehoben sind. Das kann neben Unsicherheit und Ängsten zweierlei auslösen: Wenn Unmögliches möglich wird, regt es die Frage an, was darüber hinaus noch möglich sein könnte. Zum anderen gilt: Wenn Altbekanntes nicht mehr umsetzbar ist, müssen wir anders denken und neue, kreative Wege und Lösungen finden. Diese Quellen können wir bewusst anzapfen, um die Herausforderung flexibel und kreativ zu bewältigen.
Wie lassen sich Kraft und Kreativität in einem vollständig geänderten Umfeld mobilisieren?
Viele Menschen spüren derzeit eine starke Ambivalenz. Zum einen macht uns die Situation vielleicht Angst, zum anderen sehen wir in der Veränderung auch Potenziale, die uns oder anderen guttun. Viele Menschen müssen derzeit eine Menge neue Herausforderungen unter einen Hut bekommen und fühlen sich überfordert. Anderen, denen nun mehr Zeit zur Verfügung steht – vorausgesetzt, dies ist nicht mit starken finanziellen oder existenziellen Nöten verbunden und die freie Zeit wird nicht nur durch digitale Meetings gefüllt – begrüßen eine „Entschleunigung“, ein „Aufatmen“ innerhalb des Alltagstrotts. In solchen Zeiten werden auch immer unsere Kreativität sowie die uns allen innewohnende Widerstandsfähigkeit aktiviert. Krisenzeiten lassen uns tendenziell neben den großen Herausforderungen auch unsere Kraft spüren. Natürlich kann der Zugang zu unserer Resilienz blockiert sein, und nicht alle Personen können in einer Krisensituation sofort diese Kräfte mobilisieren. Aber wir können uns daran erinnern, dass wir (Über-)Lebenskünstler sind: Wir haben das Potenzial, widrigen Umständen zu trotzen und Herausforderungen zu bewältigen.
Wie finden wir Zugang zu unserer Resilienz?
Es gibt zahlreiche Faktoren. Ein wesentlicher Faktor, der Resilienz fördert, sind gute, vertrauensvolle Beziehungen. Wir Menschen sind soziale Wesen. Diese Neigung zu Zusammenhalt und Solidarität wird zugleich im Krisenmodus noch stärker aktiviert, was wir mit den Balkongesängen in Italien oder den zahlreichen Nachbarschaftshilfen mitverfolgen können. Diese starke soziale Orientierung und das Gemeinschaftsgefühl helfen uns, uns auf Veränderungen einzulassen. Dem tut auch das social distancing keinen Abbruch – wir müssen uns physisch distanzieren, gerade emotional können wir jedoch verbunden bleiben. Es ist in diesen bewegten Zeiten gleichzeitig absolut menschlich, besorgt zu sein oder Ängste zu haben.
Welche Strategien können gegen Angst und Verunsicherung helfen?
Es existiert natürlich die reale Ansteckungsgefahr, die für uns alle und insbesondere für die Risikogruppen und deren Angehörige sehr belastend ist. Darüber hinaus stellt uns die psychologische Dimension der Situation vor die unterschiedlichsten Herausforderungen: die Auswirkungen der Isolation, die Einschränkungen der sozialen Beziehungen, die Neustrukturierung des Privat- und Berufslebens, die Ungewissheit etc. Unter konstanter Belastung können wir häufig nicht klar denken und greifen auf einfache Reaktionsmuster zurück. Es kommt zu einem eingeschränkten Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsfokus, dem umgangssprachlichen ,,Tunnelblick“. Sich die psychologischen Mechanismen bewusst zu machen und sich eine Überforderung zuzugestehen, kann etwas Distanz zur eigenen Denk- und Gefühlswelt schaffen. Achtsamkeit und Annahme können helfen, weniger in den Kategorien „richtig“ oder „falsch“ zu denken, sondern die eigenen Gefühle wertfrei anzunehmen. Wer sich selbst gegenüber Verständnis aufbringt, schafft es, vom Beobachtungs- in den Gestaltungsmodus zu wechseln: „Die Situation ist, wie sie ist. Was mache ich jetzt damit? Was kann ich bewirken?“
Wie können wir uns selbst auf diesem Weg unterstützen?
Insgesamt ist es gut, sich seine Kraftquellen bewusst zu machen und regelmäßig dort anzuzapfen. Fragen wie: „Was tut mir gut? Wo tanke ich auf? Was gibt mir Energie?“ können dabei unterstützen, die eigenen ,,inneren Schätze“ zu finden. Ein möglicher Zugang sind Achtsamkeitsmethoden, an die frische Luft gehen, körperliche Bewegung oder soziale Kontakte. Die Frage „Wie kann ich mich für die Gemeinschaft einbringen?“ und der Blick auf das große Ganze können ebenso hilfreich sein. Genauso können wir im Kleinen gezielt Situationen kreieren, die wir beeinflussen können. Mit solchen neuen kleinen Routinen spüren wir Selbstwirksamkeit, können unseren Alltag wieder strukturieren und uns selbst oder anderen etwas Gutes tun.
Inwiefern kann uns eine positive Einstellung helfen?
Eine positive Einstellung ist grundsätzlich enorm wichtig und hilfreich, solange sie sich nicht über ein ausschließlich einseitiges positives Denken im Sinne eines ,,alles ist schön und gut'' definiert. Vielmehr als eine positive Einstellung macht uns ausgewogenes Denken, das alle Seiten einer Sache im Blick hat, besonnen und handlungsfähig. Die Krise ist ein enormer Umbruch und eine Herausforderung für jeden Einzelnen, die Gesellschaft und die Weltgemeinschaft. Es gibt zahlreiche negative Folgen, die nicht schön- oder wegzureden sind. Um handlungsfähig zu bleiben, müssen wir zugleich differenziert das gesamte Bild betrachten: Neben den Gefahren auch die Potenziale im Blick haben. Anstelle eines Optimismus oder Pessimismus können wir den Possibilismus, die Haltung des Möglichen einnehmen. Dabei steht der Prozessfokus im Vordergrund. Es muss nicht immer alles sofort lösbar sein, man vertraut auf den Prozesscharakter der Dinge, schließt Ambivalenzen mit ein. Dieser Ansatz kann helfen, ein dichotomes Schwarz-Weiß-Denken aufzubrechen. Um in solch einer komplexen Situation zu agieren, benötigen wir eine enorme mentale und emotionale Flexibilität. Genauso wie es eine Negativspirale der Gedanken gibt, können wir uns auf diesem Wege eine realistische und konstruktive Aufwärtsspirale schaffen.
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