Poetisch engagiert: Ein Poetry Slam für Klimaschutz und Solidarität
Birger Ingensand
Poetisch engagiert: Poetry Slam für Klimaschutz und Solidarität war eine Kooperationsveranstaltung des AKTIVOLI-Landesnetzwerks Hamburg e.V. und des Projekts „Engagementförderung durch universitäre Lehre“ der Universität Hamburg sowie der Infostelle Klimagerechtigkeit der Nordkirche im Zentrum für Mission und Ökumene, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und Code for Hamburg. Gesucht wurden poetische Beiträge, die gute Ideen liefern für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, für Solidarität und Vielfalt. Im Dezember fand ein Poetry Slam statt, und nun sind alle eingereichten Beiträge in einem E-Booklet zum Nachlesen versammelt worden.
Die Claussen-Simon-Stiftung fördert das Projekt „Engagementförderung durch universitäre Lehre (EngföLe) 4.0“ für mehrere Jahre. Dieses innovative Lehrvorhaben ist als interdisziplinäres Programm mit vier gesellschaftlich relevanten Themenfeldern im Studium Generale der Universität Hamburg verankert worden.
Heute präsentieren wir einen Beitrag von Birger Ingensand aus diesem E-Booklet. Er arbeitet als Lehrer für Mathematik, Musik und Sport an einer Budenhagenschule und ist begeisterter Poetry Slammer. Über seinen Text sagt er: „Ich habe in meinem Beruf eher selten die Möglichkeit, all das zu sagen, was eigentlich gesagt werden könnte. Ich fing an, das geschriebene und gesprochene Wort in Texte zu fassen und in einem ausgewählten Rahmen vorzutragen. Mit Who cares? trug ich meinen Wunsch, Menschen zum Nach- und Überdenken zu bringen, beim Poetry Slam für Klimaschutz und Solidarität in Hamburg zum ersten Mal an ein breiteres Publikum heran.“
WHO CARES?
Dies ist ein Mitmach-Text. Wenn ich sage: „But who cares?“, ruft ihr bitte „I CARE!“. Lasst uns das einmal üben: Viele AfD-Wähler_innen finden Migrant_innen gefährlich. But who cares?
Publikum: I CARE!
Wunderbar, dann wisst ihr auch schon mal, in welche Richtung dieser Text jetzt nicht geht. In Wäldern ist in den letzten 10 Jahren ein Drittel aller heimischen Insekten verschwunden. Oder, anders gesagt, gestorben, finden keinen Lebensraum mehr, keine passenden Lebensbedingungen, whatever. Auf freien Wiesenflächen ist es sogar so, dass nur noch gut ein Drittel aller Insekten von vor 10 Jahren vorhanden ist. Vor Jahren schon war das Thema. Sogar für die Kinder, mit Bee-Movie. In Ost-Asien hat man teilweise angefangen Leute anzustellen, die mit kleinen Pinseln rumgehen und Blüten von Hand bestäuben. Weil es zu wenige Insekten gibt. Zu wenige Insekten bedeutet: keine Pflanzenverbreitung. But who cares?
Publikum: I CARE!
Jeden Tag wird in etwa die Fläche der Stadt Köln an Regenwald vernichtet. Vom Menschen. Nicht, dass da Zweifel am menschlichen Einfluss entstehen. Wobei jeder Hektar mehr tierische Arten beherbergt als unsere heimischen Wälder. Wenn man das Ganze auf unsere ach so heißgeliebte Fußball-Bundesliga ummünzt und die Wald- und Artenzerstörung in Fußballfelder und Mannschaften umrechnet und jedes einzelne Teammitglied für eine ganze Tierart steht, (Auswechselspieler und Trainer und so zählen natürlich dazu), dann wird täglich, wenn jede Mannschaft auf einem eigenen Feld steht, mehr als die gesamte erste Bundesliga vernichtet. Jeden Tag. But who cares?
Publikum: I CARE!
Einen hab ich noch. Ich hab mir mal den Spaß gemacht und die Einnahmen aller öffentlichen Verkehrsbetriebe in Deutschland recherchiert. Also sowohl Nah- als auch Fernverkehr. Und habe diese Summe dann durch die Einwohner*innen Deutschlands geteilt. Wenn jeder Einwohner, jede Einwohnerin Deutschlands 117 Euro zahlen würde, könnte jede*r gratis Öffi fahren! Und da hab ich einen Gewinn für die Unternehmen zum Ausbau ihrer Systeme schon einberechnet. In welchem Zeitraum das bezahlt werden müsste, fragt ihr euch? Nicht am Tag, nicht in der Woche, auch nicht im Monat. Im Jahr. 120 Tacken im Jahr. Nen Zehner im Monat, und alle könnten für lau überall in Deutschland Öffi fahren. But Who cares?
Publikum: I CARE!
Und warum ändert sich dann nichts? Oh ja, Politik, natürlich. Ohne die Vorschrift der Regierung geht das nicht. Stimmt, nicht alles. Aber, um meinen Puls mal wieder auf ein angemessenes Niveau zu senken: „Wir sind das Volk!“ ist nicht nur ein Leitspruch, der aussagt, dass die Regierung darauf hören sollte, was die Masse verlangt. Sondern, wenn Mensch das ernst nimmt, kommt damit auch Verantwortung. Wenn wir die Masse sind, sind wir die Konsument*innen. Die Endverbraucher*innen. Wenn wir beschließen kein Fleisch mehr zu kaufen bzw. zu essen, dann bleiben alle Supermärkte und Fleischereien auf den Kadavern sitzen, bestellen die bald nicht mehr nach – und Bumm! Wir müssten zwar noch die lebenden Ausnutztiere durchfüttern, aber das müssten wir ja auch, wenn wir sie danach essen würden. Ansonsten brächte das Folgendes mit sich: 90 % der Regenwaldrodung würde überflüssig werden. Neunzig Prozent. Die Ausnutzung des Bodens könnte drastisch gedrosselt werden. Die übrigens zu den Hauptursachen für das Insektensterben gezählt wird. Wenn der Markt nicht sich selbst kontrolliert, die Regierung ihn nicht mit Gesetzen reguliert, die Nachfrage tut es immer. Das Angebot reagiert auf die Nachfrage. Aber nicht freiwillig. Es geht um den Gewinn. Wenn sich viel Profit aus dem Kaufverhalten der Menschen schlagen lässt, dann tu ich doch als Produzent alles, um das anzuregen und zu glorifizieren. Hast du was, bist du was. Wenn wir Veränderung wollen, müssen wir aufstehen. Wir müssen uns kümmern. Wir haben die Verantwortung, dem Markt zu diktieren, was er bereitzustellen hat. Wenn wir Produkte kaufen, unterstützen wir die Industrie dahinter. Wenn wir auf dem Bauernmarkt einkaufen, unterstützen wir die Bauern. Wenn wir ein Fahrrad kaufen, unterstützen wir die Fahrradhändler. Es gibt zwei Arten, Fahrradfahren zu verbreiten. Entweder die Stadt gibt uns breitere, angenehmere Radwege, oder wir nutzen die Radwege und sagen: „Hey, wir brauchen mehr Platz!“ Dann haben die irgendwann zu reagieren. Und wer jetzt ankommt: „Nee, ne Umstellung darf nicht schwerfallen, ich will mich gleichbleibend in meiner Bubble wohlfühlen und meinen Gewohnheiten nachgehen“, der könnte genauso gut sagen: „Herr Doktor, ich hab mir den Arm ausgerenkt, renken Sie den bitte wieder ein, aber Sie dürfen nicht meinen Arm berühren oder mir weh tun.“ Und ja klar, Narkose wär’s. Einschlafen, die Welt verändert sich, du wachst auf und alles is tutti. Wir bräuchten mehr Menschen, die sich kümmern. Mehr Menschen, die sagen, das und das finde ich gut und ich versuche, so gut ich irgendwie kann, danach zu handeln. So konsequent wie möglich. We need people who care. But who cares?
Publikum: I CARE!
Foto: Michelle Jekel
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