Klavierunterricht in Zeiten von Corona: Herausforderung und Abenteuer
Linde Leine, Pianistin, stART.up-Alumna
Innerhalb weniger Tage hat sich mein Leben als Pianistin grundlegend geändert. Meine Freundin und Kollegin Daria Marshinina und ich bilden ein Klavierduo – seit zehn Tagen können wir nicht mehr gemeinsam üben. Unsere Konzerttermine, unter anderem in der Hamburger Laeiszhalle, wurden abgesagt. Das hat uns in den Grundfesten erschüttert. Wir haben uns in den letzten Jahren gemeinsam eine künstlerische Identität, eine Karriere erarbeitet. Das hat sich nun alles in Luft aufgelöst, so fühlt es sich an.
Aber ich kann noch unterrichten! Unter ganz anderen Voraussetzungen natürlich, aber ich bin glücklich, dass ich dank der technischen Möglichkeiten den Kontakt zu meinen Schülerinnen und Schülern halten und sie weiter beim Klavierspielenlernen begleiten kann: Ich stelle mein Handy mit einem Stativ an mein Klavier, sodass meine Schülerinnen und Schüler mich und die Tastatur sehen können. Es ist ganz wichtig, dass wir uns gegenseitig und vor allem auch unsere Gesichter sehen! Voraussetzung ist natürlich, dass beide über eine stabile Internetverbindung verfügen, denn sonst wären Bild und Ton asynchron. Was aber fehlt, ist die Berührung: Im Klavierunterricht ist es selbstverständlich, dass ich zum Beispiel die Handhaltung korrigiere – es fühlt sich fremd an, dass diese persönliche Ebene nun fehlt. Ich sehe auch nicht mehr, wie die Schülerinnen und Schüler das Pedal bedienen. Vor einigen Tagen mussten ich und eine Schülerin sehr lachen, denn ihr Pedal quietschte laut – das stellte sich plötzlich als Vorteil heraus, weil ich so mitbekam, wann sie es benutzte. So liegen in dieser herausfordernden Situation immer auch amüsante Momente, die Nähe bringen und uns gemeinsam lachen lassen.
Es ist auf jeden Fall ein Abenteuer für beide Seiten, ein Experiment. Und es ist viel anstrengender, auf diese Weise zu unterrichten, die Aufmerksamkeit ist eine andere. Man braucht Flexibilität, und jeder Schüler reagiert auch anders auf diese Situation. Die meisten meiner Schülerinnen und Schüler sind zwischen 10 und 19 Jahre alt, sie lassen sich nach meiner bisherigen Erfahrung sehr offen, neugierig und spielerisch darauf ein. Bei den schon Fortgeschrittenen besteht die besondere Herausforderung darin, dass Aspekte wie Phrasierung, Dynamik, Gestaltung nicht so einfach vermittelbar sind, ich werde also mehr selbst vorspielen müssen. Bei Jüngeren integriere ich gern gemeinsames Klatschen und Rhythmusübungen in den Unterricht. Oder ich vermittle Wissen über Komponisten und Musiktheorie. So wird der Unterricht über den Bildschirm nicht langweilig, die Abwechslung hilft beiden Seiten, dabei zu bleiben. Einer meiner Schüler bearbeitet für die Schule gerade ein Projekt über J.S. Bach, da kann ich ihn gut unterstützen.
Ich denke, dass auch weiterhin etwas fehlen wird beim Unterrichten, aber ich bin auch guten Mutes, dass meine Schülerinnen und Schüler den Spaß am Klavierspiel behalten und wir gemeinsam tolle musikalische Erfahrungen erleben werden. Ohne die digitale Technik wäre das alles nicht möglich, sie ist auch für uns Künstlerinnen und Künstler ein wahrer Segen in diesen Tagen. Play on!
Artikel kommentieren
Kommentare sind nach einer redaktionellen Prüfung öffentlich sichtbar.