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#Community #Kultur #Transdisziplinarität #WissensWerte

#WissensWerte: „Transdisziplinarität finde ich so bereichernd, weil man aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Projekt und auf Kunst schaut“

Interview mit Simone Karl, Cora Sachs und Stephanos Katsaros

Seit zehn Jahren fördert die Claussen-Simon-Stiftung mit dem Stipendienprogramm stART.up junge Künstler:innen in Hamburg, die nach einem erfolgreichen Studienabschluss den Weg in die Freiberuflichkeit genommen haben. Im Frühsommer trafen sich die Regisseurin und Figurenbildnerin Cora Sachs (Jahrgang 2015/16), die Bildende Künstlerin Simone Karl (Jahrgang 2018/19) und der Pianist Stephanos Katsaros (Jahrgang 2022/23) in der Stiftung und sprachen über die Bedeutung der Förderung für ihren Lebensweg, über die Vorteile der Transdisziplinarität, die das Stipendium ermöglicht, und über die aktuelle Situation der freien Szene in Hamburg.

 
Stephanos Katsaros: Ich finde es super, heute mit euch über das Stipendium zu sprechen! Das zehnjährige Jubiläum ist ein besonderer Moment, um gemeinsam mit Euch aus anderen Jahrgängen auf die Zeit bei stART.up zurückzublicken. Als Neu-Hamburger – nach Corona, frisch aus dem Studium und mit wenig Kontakt zu anderen Kunstsparten – war stART.up für mich eine echte Bereicherung und Inspiration. Kunst entsteht vielleicht in der inneren Welt, aber sie ist immer verbunden mit aktuellen Diskursen, mit politischen und gesellschaftlichen Themen. Teil einer Gruppe von Künstler:innen zu sein, die mich als Person spiegeln, hat mich zum Hinterfragen meiner Arbeit angeregt und mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Was mache ich? Warum mache ich das? Ist es aktuell, was ich mache – und interessiert es überhaupt jemanden? Es ist extrem hart, sich ein ganzes Jahr lang mit diesen Fragen zu beschäftigen. Aber es tut auch sehr gut! 
Cora Sachs: Das sehe ich genauso. Das stART.up-Stipendium ist ein Geschenk. Man lernt, sich selbst zu strukturieren, zu verhandeln, sich selbst einzuschätzen, und man lernt, seine Arbeit zu reflektieren und strategisch zu denken. Im Studium gibt es diese Möglichkeit kaum – oder man hat nicht die Zeit, die nächsten Schritte und Herausforderungen wirklich intensiv zu reflektieren. Nach dem Studium werden Künstler:innen in die Arbeitswelt geworfen und oft schnell verheizt. Deswegen ist dieses Jahr, das man dank stART.up gewinnt, eine total tolle Grundlage für den weiteren Weg. Eigentlich würde ich es allen wünschen, dass man mit so einer guten Grundlage startet. Man verlässt seine Blase und lernt eine bunte Mischung an Menschen kennen, die man sonst so nicht treffen würde.
Simone Karl: Ich habe das Stipendium ein halbes Jahr nach meinem Abschluss angefangen und hatte das Gefühl, dass ich auf eine neue Art ernst genommen wurde. Zum einen natürlich durch die finanzielle Förderung, die auch immer eine Art der Wertschätzung ist. Darüber hinaus habe ich aber erfahren, wie ich das, was ich im Studium gelernt habe, sowohl in der freien als auch in der institutionellen Szene einbringen kann. Das habe ich als einen sehr erwachsenen Zustand empfunden. Und gleichzeitig gab es diese enge Gruppe, in der Freundschaften entstanden. Mit Leuten aus künstlerischen Kreisen, die ich davor gar nicht kannte. Und so boten sich viele Möglichkeiten zum künstlerischen Ausprobieren – immer in einer Balance zwischen Spiel und Professionalisierung. Das war eine einzigartige Situation. 
Stephanos Katsaros: Ja, da schließe ich mich an. Im Stipendium hatten wir eine neue Möglichkeit, uns als Künstler zu definieren. Gerade das Erlebnis der Gemeinschaft ist dabei sehr stärkend: Wenn man zum Bespiel Anträge schreibt, sein Bestes gibt, abgelehnt wird, weitermacht, noch einen Antrag schreibt, noch eine Veranstaltung besucht und noch ein Projekt macht, braucht man viel Durchhaltevermögen. Dann sieht man bei Stipendiat:innen der anderen Sparten, dass es ihnen ähnlich geht oder es noch härter ist. So kann man sich gegenseitig stärken und Mut machen.

Ah, Du warst bei der Claussen-Simon-Stiftung? Dann weiß ich, dass wir uns gut verstehen werden

Simone Karl: Dadurch, dass es allen so geht und man in der Gruppe gemeinsam in diese Antragsstrukturen reinwächst, ist es ein gemeinsames Erarbeiten, ein gemeinsames Scheitern und ein gemeinsames Weitermachen. Wenn ich das nicht mit den anderen hätte teilen können, dann hätte ich vielleicht viel mehr unter den Absagen gelitten. So konnten wir uns zusammentun, gemeinsam Ideen entwickeln, von den Stärken der anderen lernen – das empfand ich als wirklich bestärkenden Zustand. 
Cora Sachs: Auch aus dem Wissen, dass es nicht nur den einen richtigen Weg gibt, kann man Mut ziehen. In der Hochschule werden unterschiedliche Karrierewege meistens gar nicht thematisiert. Und danach merkt man dann, dass es so viele Möglichkeiten gibt, sich seine eigene Lebensrealität zu schaffen.
Diese ganzen Themen, die im Studium nie besprochen wurden, wurden vom stART.up-Curriculum aufgefangen, wie etwa Zeitmanagement oder Recht & Steuern. Für mich war Asmus Hintz prägend, da er ein paar wichtige Grundlagen vermittelt hat. Zum Beispiel den Grundsatz Wer fragt, der führt. Wenn ich mir das Programm heute anschaue, ist es sehr viel diverser geworden. Anmerkungen oder Wünsche aus der Stipendiat:innenschaft wurden immer angehört und häufig ins Curriculum übernommen. Die Kommunikation mit der Stiftung war immer sehr offen. 
Simone Karl: Bei uns im Jahrgang gab es damals den Wunsch nach einem Angebot mit Themen speziell für Bildende Künstler:innen. Und keinen Monat später wurde dann ein Workshop dazu angeboten. Ich finde es echt toll, dass man sich so etwas wünschen konnte und dass es, wenn möglich, auch umgesetzt wurde. 
Stephanos Katsaros: Im Curriculum war auch das für uns freischaffende Künstler:innen sehr wichtige Thema Social Marketing dabei. Aber nicht nur die im Curriculum organisierten Inhalte waren interessant, es gab auch Workshops von anderen Stipendiat:innen, an denen wir teilnehmen durften, und natürlich die individuellen Coachings.
Simone Karl: Ich habe neulich über die Bedeutung der Coachings für mich nachgedacht. Ich war damals noch sehr jung und stand an einem frühen Punkt meiner künstlerischen Karriere, weswegen ich mir Coachings ausgesucht habe, die ich heute nicht mehr machen würde. Erst habe ich mich geärgert, dass ich mich damals so entschieden hatte. Aber dann dachte ich mir, dass sich darin ja zeigt, wie viel seitdem passiert ist und wie viel klarer ich heute weiß, was ich wirklich brauche und wer ich sein möchte. Damals habe ich zum Beispiel an einem Keramik-Workshop teilgenommen. Der war zwar toll, aber heute würde ich Inhalte taktischer auswählen und sehr viel selbstbewusster auftreten. Etwa ein Gespräch mit einem:r Leiter:in eines Kunstvereins erfragen. Aber ich finde es auch schön, in dieser Rückschau meine Entwicklung zu sehen. 
Stephanos Katsaros: Diese Coachings sind ein bisschen Trial-and-Error. Ich habe ein Coaching zum Thema Selbstpräsentation und Sprechen in der Öffentlichkeit gemacht, weil ich mir dachte, ich müsse etwas ausprobieren. Ich habe festgestellt, dass ich das auf diese Art in meinem Leben nie machen werde – weil der Coach und ich völlig unterschiedliche Vorstellungen hatten. Und obwohl mir der Inhalt des Coachings nicht geholfen hat, habe ich gelernt, wie wichtig es ist, dass ich meine Gedanken und Erwartungen richtig artikuliere, um zum richtigen Ergebnis zu gelangen. 
Cora Sachs: Ich fände es total spannend, nach zehn oder fünfzehn Jahren nochmal für sechs Monate ein Programm wie stART.up zu haben – als eine Art Fortbildung. Wir sind in dieser Mühle des Produzierens und Inszenierens. Wann kommt man schon mal zusammen und reflektiert? Es gibt zwar Residenzen, in denen man ein Projekt machen kann, aber es ist nicht vergleichbar mit stART.up, wo eine Gruppe unterschiedlicher Künstler:innen zusammenkommt. Es wäre spannend, sich erneut auszutauschen – dann geht es vielleicht nicht um Steuern, sondern um die Rente! (Gelächter
Simone Karl: Was ich besonders cool finde, ist, wie lange das Netzwerk eines Jahrgangs hält. Ich habe bis mindestens nächstes Jahr Projekte mit Leuten aus meinem stART.up-Jahrgang geplant. Es ergaben sich über die Stiftung mehr Kooperationen als aus meinem Studium heraus. Gerade auch solche, die außerhalb meines Bereichs liegen, wie Projekte mit Performer:innen, Theaterschaffenden oder Personen, die schreiben. Es ist besonders, dass die Verbindungen so lange Bestand haben und sich mit der Zeit sogar vertiefen. Es ergeben sich auch immer wieder Zugänge zu den anderen stART.up-Jahrgängen. Beispielsweise durch Regionalgruppentreffen oder gemeinsame Bekannte. 
Stephanos Katsaros: Dank stART.up lernen sich Generationen von Künstler:innen kennen, die sich häufig bei Projekten wiedertreffen. Gleichzeitig erfahren so auch potenzielle Bewerber:innen von dem Stipendium. Ich habe neulich zusammen mit einer Person an einem Projekt gearbeitet, die jetzt im neuen Jahrgang ist. Als er uns das erzählt hat, meinten wir „Willkommen in der Clique! Jetzt bist Du einer von uns!“ (Gelächter). Es ist fast wie ein Qualitätssiegel, wenn man andere Alumni:ae trifft: „Ah, Du warst bei der Claussen-Simon-Stiftung? Dann weiß ich, dass wir uns wahrscheinlich gut verstehen werden.“

Durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen künstlerischen Sparten die eigenen Scheuklappen ablegen

Cora Sachs: Zum Glück trifft man im Stiftungskontext nicht nur „Kunstmenschen“ sondern auch viele Personen aus ganzen anderen Bereichen. Wer zum Beispiel eine Neurowissenschaftlerin oder einen Historiker sucht, findet bestimmt jemanden. Dafür sind die Regionalgruppentreffen, das Stipendiat:innen- oder das Alumni:ae-Treffen so wertvoll – da trifft man auf einen Schlag superspannende Menschen mit ganz anderen Hintergründen. Diese Transdisziplinarität finde ich sehr bereichernd, weil man aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Projekt, auf Kunst, auf Geschichten, auf Fragestellungen schaut. Sonst bleibt man in seiner Blase und erreicht keine Vielschichtigkeit. 
Simone Karl: Ich glaube, es passiert automatisch, dass man durch das Studium und die eigene Berufsgruppe in einer Blase bleibt. Wenn ich nicht bei stART.up gewesen wäre, würde ich fast ausschließlich Bildende Künstler:innen kennen. Transdisziplinarität ist aber total toll, um zum Beispiel ein großes Projekt zu realisieren. Es ist auch absolut zeitgemäß zu überlegen, wie man Ressourcen bündeln kann. Außerdem, und das finde ich total wichtig, muss man durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen künstlerischen Sparten die eigenen Scheuklappen ablegen. Inhaltlich, aber auch die eigenen Arbeitsstrukturen betreffend. Das ist für mich der Punkt, an dem ich wachse. 
Stephanos Katsaros: Ich finde die spartenübergreifende Zusammenarbeit ebenfalls positiv – auch wenn es gelegentlich herausfordernd sein kann. Ich habe mal bei einem Theaterprojekt mitgemacht, für das ich die Musik komponiert habe. Die Theatermacherin hatte eine ganz andere Arbeitsweise und Geschwindigkeit, an die ich mich erst gewöhnen musste. Sie hat das Projekt während der Arbeit entwickelt, was für mich eine unbekannte Herangehensweise war – aber ich fand es extrem faszinierend. Es ist schön, andere kreative Prozesse kennenzulernen. 
Simone Karl: Ja, darauf muss man sich einlassen. Ich muss zum Beispiel ein neues Projekt einfach anfangen. Ich sage immer „mit den Händen denken“. Und beim Machen entwickelt sich die Idee nach und nach. Ich arbeite jetzt viel mit Performer:innen und Leuten aus den Darstellenden Künsten zusammen – und die wollen sich immer vorher treffen und Bücher lesen! Was ich total super finde, aber da bin ich komplett nutzlos! (Gelächter) Ich muss erst 50 Prozent des Weges gehen, dann kann ich was dazu lesen. Man muss erstmal lernen, dass diese unterschiedlichen Herangehensweisen okay sind und man sich dann irgendwo in der Mitte trifft. Transdisziplinarität hat eigentlich keine Nachteile. Sogar die Projektanträge klingen viel interessanter, denn wenn verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten, gibt es inhaltlich viele Anknüpfungspunkte und die Erfolgschancen für die Bewilligung sind größer.

Genügend Mittel zu haben, sollte kein Luxus sein! 

Cora Sachs: Diese durch das Stipendium gegebene Erfahrungswelt ist gerade für die Arbeit in der freien Szene wichtig, denn dort muss man sich am Beginn der eigenständigen Arbeit seine Infrastruktur selbst herstellen. Man muss Orte für Proben oder Ateliers finden, Inhalte erarbeiten, gegebenenfalls ein Team zusammenstellen. Dank stART.up hat man Grundlagen, auf denen man aufbauen kann. Nicht zuletzt auch die Kontakte zu den anderen Geförderten und die Erfahrungen der Transdisziplinarität. 
Simone Karl: Die gemeinsame Arbeit und der Erfahrungsaustausch motivieren. Bildende Kunst ist extrem schlecht finanziert. Eigentlich kann man darauf keine Existenz aufbauen. Die Haltung, dass man als Künstler:in kein:e Bittsteller:in ist, sondern für seine Arbeit Geld verlangen kann, lernt man hier in der Zusammenarbeit, insbesondere mit Hilfe der spartenübergreifenden Kontakte. Ich hätte diese Erkenntnis bestimmt auch ohne das Stipendium erreicht, aber erst nach viel längerer Zeit und mit mehr Schwierigkeiten. 
Cora Sachs: Diese selbstbewusste Haltung baucht man in der freien Szene in Hamburg, denn dort ist es im Moment wirklich schwierig. Vor zehn Jahren sah es ein bisschen besser aus. Es hatten sich nämlich gerade strukturell einige Dinge verbessert: Das Fördervolumen stieg, es herrschte Aufbruchstimmung, weil es nach tatsächlichem Wandel aussah, und man dachte „Es geht los!“. Und dann kam Corona. Es ging zwar alles erstmal nach unten – aber durch die Milliarden von Bund und Ländern war plötzlich unglaublich viel Geld da. Die Szene hat sich dadurch sehr professionalisiert und ist größer geworden. Allerdings haben sich die strukturellen Probleme, die es gab, inzwischen verstärkt, und jetzt gerade ist die Lage echt desaströs. 
Stephanos Katsaros: Kannst Du die strukturellen Probleme konkreter beschreiben?
Cora Sachs: Die Probleme sind miteinander verwoben. Zum Beispiel ist die Szene stark gewachsen, aber die Projektfördertöpfe sind nicht größer geworden. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, die Probenräume sind exorbitant teurer geworden, die Honoraruntergrenzen sind angehoben worden. Das über Förderung verfügbare Geld ist auf Vor-Corona-Niveau gesunken, die Anzahl der Anträge jedoch gestiegen. Dieses Jahr wurden zum Beispiel nur 12% der Anträge gefördert! Außerdem darf man maximal 50.000 Euro pro Projekt beantragen. Wenn man ordentliche Honorare bezahlen will, kommt man bei größeren Projekten in der Darstellenden Kunst damit nicht hin. 
Außerdem existiert in Hamburg keine wirklich nachhaltige Förderung; nach ein paar wenigen Aufführungen landen die Stücke auf dem Dachboden. Das ist in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel anders, dort gibt es solche langfristigen Förderungen. Hamburg hat zwar einen Diffusionsförderungstopf für Gastspiele – aber dieser ist viel zu gering ausgestattet. Es mangelt an bezahlbarem Probenraum und es mangelt an gut ausgestatteten Spielstätten. Das monsun theater ist am Straucheln. Die neue Mittelbühne des LICHTHOF THEATERS verzögert sich. Es gibt zwar das Fundus Theater, aber das ist auf Jahre ausgebucht. Es fehlt an Orten und an Geld. Und für Leute, die seit zwanzig, dreißig Jahren kontinuierlich künstlerisch arbeiten, gibt es keine Spitzenförderung.
Simone Karl: Aus eigener Erfahrung als Bildende Künstlerin weiß ich, wie schwierig es ist, Atelierräume zu finden. In Hamburg brauche ich gar nicht suchen, weil in der Stadt nichts bezahlbar ist, was auch nur annähernd mit meiner Arbeitsweise zusammenpasst. Probenräume, Ateliers und alle Arbeitsräume von Künstler:innen sind Freiräume, in denen Kunst ausgeübt wird. Diese Räume müssen von der wirtschaftlichen Leistung entkoppelt sein. Denn wenn nur die wirtschaftliche Leistung im Fokus steht, geht man schnell in die Kreativwirtschaft, dann macht man keine freie Kunst mehr.
Cora Sachs: Und die Corona-Kultur-Milliarde des Bundes war leider nicht nachhaltig. Die ist einfach verpufft. 
Simone Karl: Für alle, die zurzeit frei arbeiten wollen – oder müssen –, ist es eine wirklich schwierige Situation. Gerade in der Bildenden Kunst ist nicht selten festgeschrieben, dass man vom Fördergeld für ein Projekt nur 1.000 Euro als Honorar verwenden darf. Darauf kann man keine Existenz aufbauen. Dann hat man zuerst einen Nebenjob und schließlich vielleicht sogar zwei – und gleichzeitig werden Raum und Zeit, um Kunst zu schaffen, immer weniger. In einer so reichen Stadt wie Hamburg sollte das besser organisiert werden. 
Cora Sachs: Eine mögliche Lösung sind Stücke, die sich anpassen. Zum Beispiel ein Puppentheater, das mit nur wenig Material und Menschen auskommt und seine Stücke direkt in der Kita zeigt. Das funktioniert und wird auch gefördert. Aber es schränkt total ein und ist auch nicht unbedingt das, was man auf Dauer künstlerisch bearbeiten möchte. Es muss andere Möglichkeiten geben. Genügend Mittel zu haben, um mindestens zwei Performer:innen auf eine Bühne zu stellen, sollte kein Luxus sein! 

Man muss lernen, die Höhen und Täler zu lieben

Stephanos Katsaros: Müssen wir dann mehr politische Kunst machen?
Simone Karl: Es wird politische Kunst gemacht. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass nicht jede:r unbedingt Kunst machen muss, die aktivistisch ist. Sondern es muss auch für solche künstlerischen Projekte Möglichkeiten geben, die sich um andere Themen drehen. Deswegen brauchen wir Initiativen, Aktivismus und Engagement außerhalb der künstlerischen Inhalte.
Cora Sachs: Engagement in Verbänden ist wichtig. Dort kann man Themen voranbringen und ist handlungsfähig. Man muss wissen, wo man anklopfen kann, wie zum Beispiel bei Stiftungen. Wobei die Politik nicht einfach ihre Verantwortung an Stiftungen abgeben darf! Generell geht es darum zu zeigen, dass Kunst wichtig ist für eine Gesellschaft, egal in welcher Form.
Simone Karl: Man muss auch das Selbstbewusstsein haben, immer wieder zu kommunizieren: „Das ist zu wenig. Die Bedingungen sind schlecht.“ Anstatt zu sagen: „Ich mache es trotzdem“. Ich denke, man muss auf eine gewisse Art und Weise solidarisch unbequem sein, um die Bedingungen zu ändern. 
Cora Sachs: Wegen der Situation der freien Szene ist es umso wichtiger, dass junge Künstler:innen gut vorbereitet sind und wissen, was sie beim Schritt in die Selbstständigkeit beachten müssen. Ich bin strategisch vorgegangen, ich wusste nach dem Stipendium, welche Anträge ich stellen, welche Leute ich ansprechen muss und dass ich mir ein Netzwerk aufbauen sollte. Doch allen Planungen zum Trotz lässt sich nicht alles vorhersehen. Ob ein Antrag angenommen wird, zum Beispiel. Aber dank der Claussen-Simon-Stiftung und stART.up konnte ich mich gut behaupten.
Simone Karl: Ich bin nach dem Stipendium in ein kleines Loch gefallen, vor allem auf der finanziellen Ebene. Es war ein Wettlauf gegen das eigene Konto, weswegen ich dann zunächst in eine Teilzeitanstellung gegangen bin. Daraus konnte ich mich dann nach und nach befreien. Ich habe den Mut und die Stabilität gefunden, die Dinge und Themen zu machen, die ich umsetzen wollte. Jetzt bin ich viel weiter und an einem Punkt, an dem ich mich direkt nach dem Stipendium noch nicht gesehen habe. Damals habe ich es nicht kommen sehen, dass ich irgendwann genau die Arbeit machen würde, die ich machen möchte, und dass ich so viele Pläne haben würde, die ich auch verwirklichen kann. Das wäre ohne das stART.up-Stipendium wahrscheinlich anders gelaufen.
Stephanos Katsaros: Ich plane dank stART.up und den anderen Stipendiat:innen Projekte, an die ich zuvor nie gedacht hätte. Die zwei Projekte, die ich zuletzt gemacht habe, eröffneten mir nochmal eine andere Perspektive auf mich selbst. Ich mache heute nicht genau das, von dem ich nach dem Stipendium dachte, dass ich es machen würde, aber es ist trotzdem sehr interessant. Ich habe dabei viel gelernt, und es war spannend zu erfahren, was meine Projektpartner:innen in mir sehen. Manchmal erkennen die anderen deine Stärken viel besser als du selbst. 
Simone Karl: Die freischaffende künstlerische Tätigkeit ist ein fortlaufender Prozess. Man muss sich immer wieder fragen: Was möchte ich als nächstes machen? Worauf möchte ich mich jetzt konzentrieren? Das kann bedeuten, dass man mit 150 Prozent in ein selbstständiges künstlerisches Projekt geht und zwei Wochen lang bis drei Uhr nachts an einem Ausstellungsprojekt arbeitet. Dann gibt es Phasen, in denen es ruhiger zugeht. Man muss lernen, das zu lieben: die Täler genauso wie die Höhen. 
Cora Sachs: Und nachträglich ergibt alles Sinn! 
Simone Karl: Zum Glück! (Gelächter)

 


 

Simone Karl ist freischaffende Bildende Künstlerin. Sie hat in diversen Einzel- und Gruppenausstellungen ihre Werke präsentiert. Im August wird sie im Rahmen der Hamburger Sommerresidenz im mare-Haus, dem ehemaligen Wohnhaus von Roger Willemsen, leben und arbeiten.

Cora Sachs ist freischaffende Regisseurin, Kostüm- und Figurenbildnerin. Ihre Arbeiten richten sich an Kinder und Erwachsene und sind auf diversen Festivals, in der freien Szene und auf den Bühnen von Staatstheatern zu sehen. Als Kulturlobbyistin ist sie im Vorstand verschiedener Vereine aktiv. Seit November 2023 hat sie zudem die Professur für Kostümbild an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg inne.

Stephanos Katsaros ist klassisch ausgebildeter Pianist und Komponist. Besonderes Interesse hat er an der Vermittlung klassischer und zeitgenössischer Musik in Projekten mit multimedialem Charakter. Neben seiner Konzerttätigkeit arbeitet er als Musikalischer Leiter des Jugendensembles Musiktheater und als Künstlerischer Leiter an einer Hamburger Musikschule. 

 

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