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#Auslandsaufenthalt #Kultur

"Diese Atmosphäre hat mich zutiefst inspiriert"

Maik Gräf, stART.up-Alumnus

Seit 2024 vergibt die Claussen-Simon-Stiftung das Residenzstipendium dépARTS in Kooperation mit der Fondation Fiminco. Mit dem Programm ermöglichen wir herausragenden stART.up-Alumni:ae einen dreimonatigen Aufenthalt in Paris, bei dem die Künstler:innen die Chance erhalten, sich im internationalen Kontext der Pariser Kunstwelt zu vernetzen und die hervorragenden Werkstätten der Fondation Fiminco zu nutzen. Außerdem können die Resident:innen an der Ausstellung des internationalen Residenzprogramms Talents! mitwirken. So erhalten sie Gelegenheit, die vor Ort entstandenen Werke zu präsentieren.
Im Jahr 2024 waren als erste Stipendiat:innen der Fotograf Maik Gräf und die bildende Künstlerin Katja Pilipenko in der französischen Hauptstadt. In einer ersten Rückschau berichtet Maik Gräf von seiner Zeit in Paris.

Die Ausschreibung für dépARTS kam zum genau richtigen Zeitpunkt. Ich hatte schon lange den Wunsch, für ein künstlerisches Projekt im Rahmen einer Residenz an einem anderen Ort zu arbeiten, neue Impulse zu erhalten und meine Praxis weiterzuentwickeln. Die Rahmenbedingungen wirkten von Anfang an ideal, und Paris, eine Stadt, in der ich bisher noch keine längere Zeit verbracht habe, bot den passenden Kontext für meine Arbeit. Als ich mich mit den Möglichkeiten bei der Fondation Fiminco auseinandersetzte, wurde schnell klar, dass die Ausstattung und die Arbeitsbedingungen hervorragend mit meinem künstlerischen Vorhaben übereinstimmen. Diese Kombination aus idealen Arbeitsmöglichkeiten und der Chance, in einer der wichtigsten Kunstmetropolen der Welt tätig zu sein, überzeugten mich vollends, mich auf die Residenz zu bewerben.

Während der Residenz entstanden mehrere Werke, die sich intensiv mit queerer Identität und Geschichte auseinandersetzen. Die Arbeiten bedienen sich fotografischen und textlichen Materials aus den 1980er Jahren, das aus Schwulenpornos, Zeitungsartikeln und medizinischen Studien stammt. Darin werden die Jahre von AIDS - damals diffamierend als „gay plague“ bezeichnet - reflektiert. Die Fotografien fungieren als alternatives Archiv und als Zeitkapsel einer Ära, in der ein gesellschaftlicher Wandel hin zu mehr Offenheit gegenüber nicht-heteronormativen Lebens- und Liebeskonzepten spürbar war. Es war eine Zeit des Aufbruchs, die Hoffnung auf eine andere Zukunft weckte: Künstler, Denker und Aktivisten traten stärker in den Vordergrund und schienen das Potenzial zu haben, Geschichte neu zu gestalten. Doch viele der Männer, die auf diesen Fotografien zu sehen waren oder diese Bilder konsumierten, wussten nicht, dass das HIV-Virus bereits in der Gemeinschaft verbreitet war. Schon bald wurde es zum Vorwand, die Betroffenen ihrem Schicksal zu überlassen und ein neues Stigma über die queere Gemeinschaft zu verhängen – ein Stigma, das bis heute nachwirkt und vermutlich noch Generationen benötigen wird, um vollständig überwunden zu werden. Zeitungsberichte aus der New York Times und medizinische Studien trugen maßgeblich zur Stigmatisierung schwuler Männer bei, indem sie klare Abgrenzungs- und Schuldzuweisungsmuster verfolgten. Demgegenüber steht der berühmte Artikel »1,112 And Counting« von Larry Kramer, der im New York Native erschien, als kraftvolle oppositionelle Stimme.

Mit der historischen Cyanotypie-Technik wurde das gesammelte Material auf großformatige Arbeiten aus Jeansstoff übertragen. Cyanotypie ist eine fotografische Technik, die im 19. Jahrhundert entwickelt wurde und bis heute in der Kunstfotografie verwendet wird. Sie zeichnet sich durch ihre charakteristische cyanblaue Farbe aus und basiert auf der lichtempfindlichen Reaktion von Eisen. Die Wahl des Jeansstoffs verweist einerseits direkt auf die 1980er Jahre, andererseits fungiert er als Fetischobjekt innerhalb der schwulen Subkultur und ruft zugleich eine Assoziation zum AIDS Memorial Quilt hervor – eine kollektive Erinnerung an die vielen Leben, die durch die Krise verloren gingen. Es entstanden aber auch verschiedene Siebdruckserien auf Papier und eine experimentelle Serie von Offset-Lithographien. Zudem habe ich erstmals mit Video experimentiert, welches ich nun im weiteren Verlauf zu einem neuen Werkkomplex zusammenfügen werde.

In der Abschlussausstellung TALENTS FAREWELL präsentierte ich meine Arbeiten in einer Rauminstallation, die die Ästhetiken des subkulturellen Untergrunds der 80er Jahre und die Atmosphäre der Clubs und „back rooms“ der Schwulenszene aufgriff. Die Räumlichkeiten des alten Fabrikgebäudes, in dem sich ein Teil der Fondation Fiminco befindet, bildeten für meine Ausstellungsidee ein sehr passendes Setting. Ergänzend lud ich den Pariser Künstler und Performer Théo Pézeril ein, die Installation sowie die gesamte Veranstaltung durch eine eigens für diesen Abend konzipierte Performance um eine weitere queere Perspektive zu erweitern.

Während der Residenz hat mich vor allem der intensive Austausch mit den anderen Künstlerinnen positiv überrascht. Es erinnerte mich ein wenig an meine Zeit während stART.up, wo ebenfalls ein konstruktives Miteinander herrschte und die ausgewählten Künstlerinnen nicht nur fachlich, sondern auch menschlich herausragend waren. Diese Atmosphäre hat mich zutiefst inspiriert. Besonders beeindruckt hat mich auch, wie viel Zeit, Muße und Raum ich hatte, mich voll und ganz auf meine künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Die Möglichkeit, sich jeden Tag und den gesamten Tag über der eigenen Praxis zu widmen, hat meiner Arbeit in kürzester Zeit enorme Fortschritte ermöglicht. Dabei konnte ich die hervorragend ausgestatteten Werkstätten nutzen und mit dem kompetenten Personal vor Ort zusammenarbeiten, was meine künstlerischen Experimente und die Umsetzung meiner Ideen zusätzlich bereichert hat. Auch habe ich teilweise mit mir neuen Techniken gearbeitet und konnte Equipment nutzen, welches im normalen Alltag nur sehr schwer zugänglich und nur unter Einsatz zusätzlicher finanzieller Mittel möglich gewesen wäre.

Paris hat nicht nur meinen Blick erweitert, sondern auch die Grundlage für langfristige, bereichernde Kooperationen gelegt. Ich nehme vor allem ein wunderbares Netzwerk an neuen Kontakten mit, das für mich von unschätzbarem Wert ist. Dieses Netzwerk eröffnet mir die Möglichkeit, zukünftig international zu kollaborieren und neue künstlerische Projekte gemeinsam zu realisieren. Außerdem bilden die dort entstandenen Arbeiten die Grundlage für Projekte und Ausstellungen, die ich im kommenden Jahr umsetzen möchte.

 

Maik Gräf ist Fotograf und Künstler. In seiner Arbeit setzt er sich mit Identität, Sexualität und Emotionen auseinander. Maik Gräf war 2021/22 Stipendiat des Stipendienprogramms stART.up. Mehr Informationen auf seiner Website und seinem Instagram-Kanal.

Abbildung: Gay Plague Quilts, Installationsfotografien TALENTS! FAREWELL, Fondation Fiminco Paris, Dezember 2024.

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